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Grußwort zu Rosch Haschana 5779

von Rabbiner Henry G. Brandt

Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland

Das abgelaufene Jahr stand für uns vor allem im Zeichen einer großen Feier: 70 Jahre Israel. Überschattet wurde sie in Israel selbst von den Angriffen aus Gaza, sowie hierzulande von der zunehmenden Sorge über einen erstarkenden Antisemitismus in Deutschland.
Trotzdem: 70 Jahre Israel. Das ist eine Zahl, bei der wir innehalten. 70. Darin klingt etwas von der biblischen Schöpfung und dem siebten Tag als dem Tag ihrer Vollendung an. Vollendung oder auch Krönung. Für uns bedeutet das aber keinen Abschluss, sondern vielmehr einen Moment, um innezuhalten, um die Beziehung zu Gott erneuern und sich auf das Kommende einlassen zu können.
Ich empfinde es als Privileg, die Zeit der Staatsgründung Israels erlebt zu haben und mich zur Gründergeneration zählen zu können. Zugleich habe ich auch hier in Europa erleben können, wie aus dem wenigen Übriggebliebenen nach der Schoa doch noch in siebzig Jahren ein neues jüdisches Leben entstanden ist. Heute vollzieht sich in Israel ein ganz natürlicher Generationenwechsel. Die jüngere Generation dort muss keinen Staat mehr aufbauen, sondern ist in ihn hineingeboren. Sie muss nicht mehr grundsätzlich nur für die Existenz ihres Staates kämpfen, sondern mit den vielen Herausforderungen der inneren Gestaltung der israelischen Gesellschaft. Gleichwohl trifft sie dabei Entscheidungen, die eine Auswirkung auf das jüdische Selbstverständnis weltweit haben.
Parallel zu den 70 Jahren Israel schauen wir aber auch auf 70 Jahr jüdisches Leben in der Diaspora. Entsprechend erleben wir auch hierzulande einen jüdischen Generationenwechsel. Hier verknüpft er sich zugleich mit der Entwicklung der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Es geht heute nicht mehr darum, einen demokratischen Staat aufzubauen. Den haben wir. Aber wie erhalten wir ihn? Wie bewahrt ihn die jüngere Generation vor einer inneren Erosion? Auf der weltpolitischen Bühne sehen wir, wie Demokratien in autoritär geführte Staaten umschlagen können. Bei uns zeigen sich im Phänomen der AfD und einem lautstarken, randalierenden Rechtsradikalismus, der die Mitte der Gesellschaft zu erodieren sucht. Ich meine, dass es hier auch um jüdische Werte der Religionsfreiheit, Toleranz und gesellschaftliche Vielfalt geht, die auf dem Spiel stehen. Hier liegt es auch an der jüngeren jüdischen Generation, sie als Teil des Judentums stark zu halten. Wegschauen und wegducken gilt nicht! Sieben Jahrzehnte neues jüdisches Leben hierzulande ist in jedem Fall ein Grund innezuhalten.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes neues Jahr.
Mögen wir dem Frieden in Israel und in der Welt im Jahr 5779 ein Stück näherkommen

Schana towa u-meworechet!
Rabbiner Dr. h.c. Henry G. Brandt

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