hauptmotiv

Emanzipiert, egalitär - und konservativ

Masorti-Deutschland-Chefin Gesa Ederberg ist eine Pionierin des modernen Judentums

Von Rocco Thiede

Gesa Ederberg ist eine Pionierin des modernen Judentums. Seit mehr als 15 Jahren ist sie Rabbinerin. Nach einer Zeit in der Oberpfalz leitet die Mutter von drei Kindern seit über einem Jahrzehnt die liberal-egalitäre Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin. Gesa Ederberg wurde 1968 in Tübingen geboren, ging hier zur Schule und begann ihr Studium der evangelischen Theologie.

»Das Lernen übers Judentum ist dabei ein wichtiges Element«, erzählt Ederberg. Und schon bald beschäftigte sie sich »überdurchschnittlich intensiv mit jüdischer Philosophie, den jüdischen Denkern und ihren Texten«. Außerdem studiert sie auch einige Semester Physik und Judaistik. Es folgen Studiensemester in Bochum, Berlin, New York und Jerusalem.

FRAGEN

In Israel stellt sie sich »die große theologische Frage, wie sich das Christentum diese Texte als Heilige Schrift aneignen kann und wie legitim der christliche Umgang mit der Hebräischen Bibel ist«. Fragen, die sich auch ihre jüdischen Mitstreiter stellen. Sie entscheidet sich zum Giur, macht sich ihren Übertritt vor dem Hintergrund der Schoa aber nicht leicht. »Wechsle ich hier von der Täter- auf die Opferseite?«, fragt sie sich. Doch ihr »religiöses, spirituelles Zuhause hatte sich klar ins Judentum hineinverschoben«. Früh durch die Israel-Aktivitäten ihres Vaters geprägt, war sie mit 13 Jahren zum ersten Mal in Israel.

Nach ihrer Zeit am Jewish Theological Seminary in New York geht sie 1998 zum Rabbinatsstudium ans Schechter Institute nach Jerusalem. Dort erhält sie im Dezember 2002 auch ihre Smicha. Wieder zurück in Deutschland, gründet sie mit Freunden »Masorti e.V.«, einen Verein zur Förderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Lebens, der kurz darauf Träger eines bilingualen Kindergartens in Berlin wird. Sie setzt sich für die Gleichberechtigung im Gottesdienst ein. An der Jüdischen Volkshochschule bietet sie zeitgleich eine »Einführung ins Judentum« für russische Zuwanderer an.

PERESTROIKA

Russisch hatte sie in Sommerkursen gelernt. »Als Gorbatschow von Glasnost und Perestroika sprach«, fand sie, dass sich Russischlernen jetzt lohne. Das kommt ihr in ihrer ersten Gemeinde in Weiden in der Oberpfalz, wo sie bis 2006 tätig ist, sehr zugute, weil es dort eine Erstaufnahmestelle für die sogenannten Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion gibt. Ederberg hilft bei der Integration von mehr als 1400 Menschen mit Sozial- und Sprachkursen.

Obwohl inzwischen mehr Rabbinerinnen in Deutschland amtieren, erlebt Ederberg bis heute mitunter staunende Beter, wenn eine Frau am Toraschrein den Gottesdienst leitet. Gerade Touristen wunderten sich häufig: »Wow, Frauen, die diese Aufgaben erfüllen! Ist das überhaupt erlaubt?«

Im Vergleich zu anderen Religionen gehe die Frage der Ordination von Frauen im Judentum vielleicht tiefer an die Substanz, meint die Rabbinerin. Im Judentum werde immer die Frage gestellt, wie die Gemeinde aussieht. Wer zählt als Beter oder Beterin zum Minjan?

DYNAMIK

Andererseits sei das Judentum »eine dynamische Religion, die sich immer verändert hat. Das jüdische Religionsrecht, das den Alltag prägt, hat sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt«, sagt Ederberg, die eine langsame Emanzipation von der reinen Orthodoxie sieht, wo Frauen entweder auf der Empore oder durch die Mechiza von den Männern getrennt sitzen müssen. Die Berlinerin Regina Jonas war 1937 zur ersten Rabbinerin weltweit ordiniert worden. Doch die Schoa und ihr Tod in Auschwitz 1942 zerstörten diese hoffnungsvolle Entwicklung, sagt Ederberg. Erst mit der zweiten feministischen Welle in den 70er-Jahren konnte erneut eine Veränderung einsetzen. 


Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 7.6.2018

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