Rosch Haschana 5778
Optimismus auf einer starken BasisRosch Haschana ist für uns Anlass zu einer selbstkritischen ausgewogenen Bestandsaufnahme und zu mutigen Entschlüssen
von Rabbiner Dr. h.c. Henry G. Brandt
"Möge das Jahr mit seinen Flüchen enden, möge ein neues Jahr mit seinem Segen einziehen." Mit diesem, in Israel oft ausgesprochenen Wunsch kommt der grundsätzliche Optimismus des Judentums zum Ausdruck; ein Optimismus, der auch aus Sicht einer anscheinend unlösbaren Problematik der Gegenwartserfahrung ein besseres Morgen als realistische Hoffnung sieht.
So stehen wir Juden wieder an einem Jahrswechsel, beseelt von einer unverwüstlichen Zuversicht und einem festen Glauben, dass der g'ttgeschaffene Mensch doch die Wege finden kann und wird, die ihn einer verheißungvolen Zukunft zuführen werden.
Das unerschütterliche Fundament dieser Zuversicht ist der Glaube an den einzigen Schöpfer als ein G'tt der Barmherzigkeit, Vergebung und Gnade. So kommen zu dieser Jahreszeit immer wieder die zusprechenen Worte aus dem 2. Buch Mose 34, 6 zum Vortrag: "Der Ewige, der Ewige, G'tt, barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Liebe und Treue, der Liebe bewahrt Tausenden Geschlechtern und vergibt Schuld und Missetat und Sünde..."
Es ist bezeichnend festzustellen, wie sich das Feiern des jüdischen Neujahrs von dem landesüblichen Begehen des Jahreswechsels vom 31. Dezember auf den 1. Januar unterscheidet. Bei Rosch Haschana findet man nichts von einer wohlbekannten, leicht alkoholgesteuerten Ausgelassenheit, keine lustigen Partys und auch wenige leichtfertige und banale Versprechen für das anbrechende Jahr. Kein jubelndes Aufjauchzen grüßt den Moment, da eine neue Jahreszahl auf dem Kalender erscheint. Dazu ist der Anlass zu ernst und bedeutungsvoll.
Für den Juden ist das Neujahrsfest einer der Hohen Feiertage. Das Wort "Höhe" lässt sich in diesem Zusammenhang so verstehen, dass der Mensch zu diesem Zeitpunkt für kurze Zeit in seinem Rennen durch das Alltagsleben innehält, um von der geistigen Höhe dieses Moments der Besinnung über die sich von seinem inneren Auge entfaltende Ebene des Zeitgeschehens Ausschau zu halten. Im Blick auf die Umwelt, in der er sich befindet, in Rückschau auf den Weg, den er bereits durchschritten hat, und im Bewusstsein des für sein Auge undurchdringbaren Nebels, der ihm die Zukunft verbirgt, erkennt er seine Situation im Leben.
Was er mit dieser Erkenntnis anfängt, kann seinen weiteren Lebensweg im bedeutenden Maß gestalten; was die Menschheit in ihrer Gesamtheit mit dieser Erkenntnis anfängt, entscheidet das Schicksal von uns allen.
Demgemäß ist das Neujahr Anlass zum Ernst; nicht zur Trauer, nicht zur schwarzseherischen Verzweiflung und schon gar nicht zur zerstörerischen Selbsterniedrigung, sondern zur selbstkritischen, ausgewogenen Bestandsaufnahme und zu vertrauenvollen und mutigen Entschlüssebn. Und dieser Ernst muss getragen sein von Zuversicht, Entschlossenheit und den Glauben an einen gütigen und fürsorglichen G'tt.
Mögen wir alle eingeschreiben werden in das Buch des Lebens und des Friedens.
Schana Towa!
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