Voneinander lernen
Die »Woche der Brüderlichkeit« ist ein Beispiel für Verständigung in anfangs aussichtsloser Lagevon Rabbiner Andreas Nachama
Die »Woche der Brüderlichkeit« ist ein Beispiel für Verständigung in anfangs aussichtsloser Lage
Am Sonntag wird 500 Jahre nach der Reformation Martin Luthers in der Frankfurter Paulskirche die »Woche der Brüderlichkeit« eröffnet. Am Tag darauf treffen sich Rabbiner der Orthodoxen und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz mit Bischöfen der evangelischen und katholischen Kirche zum alljährlichen Gedankenaustausch. Man könnte meinen, so sollte es nicht nur sein, sondern so wäre es schon immer gewesen.
Aber nein! Vor 84 Jahren – 1933 – wurde anlässlich des 450. Geburtstags Martin Luthers am 10. November mit einer antisemitischen Großveranstaltung im Berliner Sportpalast gefeiert. Am 9. und 10. November 1938 gab es jenes »Feuerwerk« zum Geburtstag des Reformators, der in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen das Niederbrennen von Synagogen angeregt hatte.
NS-TERROR
Ausweislich der »Berichte aus dem Reich« des Sicherheitsdienstes der NSDAP haben nur wenige protestantische Pfarrer in ihren Predigten am darauffolgenden Sonntag kritisch dazu Stellung genommen, dass der NS-Terror auch vor Gotteshäusern nicht haltmachte. 1946 machte aber dann vor dem Internationalen Militärgerichtshof der dort angeklagte Herausgeber des NS-Hetzblattes »Der Stürmer«, Julius Streicher, mit dieser Schrift Luthers in der Hand geltend, was der Reformator geboten habe, könne doch kein Unrecht sein.
Im Gegensatz zu vielen anderen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die erst nach dem 30. Januar 1933 eintraten, wurde die moderne Form des Judenhasses schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts von keinem anderen als dem protestantischen Hofprediger Adolf Stoecker mit dem Slogan »Die Juden sind unser Unglück« salonfähig gemacht, wobei sich auch dies in eine am Ende zwei Jahrtausende währende, oft militante und todbringende Judenfeindschaft der Kirchen einfügt.
Jetzt könnte man einwenden: »Aber doch heute nicht mehr!« Kirchen und Synagogen stehen einträchtig beieinander, es gibt landauf, landab anlässlich von Gedenktagen gemeinsame Gebete oder auch christlich-jüdische Gemeinschaftsfeiern. Die EKD hat sich mit Synodalbeschlüssen 2015 zu »Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum« vom Judenhass des Reformators distanziert und sich 2016 – sich auf die »bleibende Erwählung Israels« berufend – von der Judenmission abgewandt.
BUBER-ROSENZWEIG-MEDAILLE
Die Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden erhält im Rahmen der Eröffnung der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille für ihre Verdienste im christlich-jüdischen Dialog. Was sich vor 70 Jahren keiner vorzustellen vermochte: Die EKD hat ein Bekenntnis zu »christlicher Mitverantwortung« am nationalsozialistischen Völkermord abgelegt, es gibt Arbeitshilfen für Gottesdienst, Gemeindearbeit und Konfirmandenunterricht im christlich-jüdischen Dialog. Im Umfeld christlich-jüdischer Gesellschaften pflegen Juden und Christen regen Austausch.
Und doch gibt es Sperrfeuer an der Berliner Theologischen Fakultät, die mal eben wieder einen deutschen Sonderweg gehen will, ähnlich wie die NS-Christen die Hebräische Bibel zur apokryphen Schrift herabstufen wollten. Auch jetzt gibt es an dieser Fakultät Lehrende, die massiv versucht haben, den Synodalbeschluss gegen die Judenmission abzuwenden, gibt es einen Berliner Pfarrer für »interreligiösen Dialog«, der sein Gehalt vom Evangelischen Missionswerk bezieht und das Leid der Palästinenser (Nakba) mit der Schoa gleichsetzt.
Und wenn man ostwärts in Europa geht, dann wird klar, dass nicht alle der vor einem halben Jahrhundert auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Juden betreffenden Beschlüsse an der Basis der katholischen Kirche angekommen sind. Und so manche orthodoxe Kirche vermag sich einen Dialog mit dem Judentum nicht vorzustellen, ja praktiziert gedankenlos einen traditionellen Antijudaismus, auch wenn es kaum oder keine Juden in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet gibt.
MOTTO
Unsere Zeit ist zunehmend von einem militanten Egoismus und von einer rücksichtslosen Zerstörung der Schöpfung geprägt. Da kommt den zwei aus der gleichen Lehre entwickelten, aber jetzt doch sehr unterschiedlichen Glaubensweisen eine gemeinsame Verantwortung zu, die das Motto der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit sehr gut zum Ausdruck bringt: »Nun gehe hin und lerne«.
Nach dem Kern der biblischen Religion wurde Rabbi Hillel einmal von einem Nichtjuden gefragt: »Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht! Das ist die ganze Lehre, und alles andere ist Erläuterung. Geh hin und lerne!« Es wäre wunderbar, wenn die Woche der Brüderlichkeit, als älteste Bürgerinitiative zur Verständigung in anfangs aussichtsloser Lage, nicht nur im Umgang zwischen Christen und Juden, zwischen Juden, Christen und Muslimen, sondern auch im Umgang von Staaten untereinander nachgeahmt würde und ein Vorbild bliebe.
Der Autor ist jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 2.3.2017.
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