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Rabbiner-Einführung mit Symbolkraft

Feierliche Ordination in Breslau: Rabbiner und Kantoren des deutschen Abraham-Geiger-Kollegs sind in ihr Amt eingeführt worden - an einem historischen Ort jüdischer Tradition, den die Nazis 1939 zerstörten.
Jonas Jacquelin ist gebürtiger Pariser - und jetzt ist der 28-Jährige ein in Deutschland ausgebildeter Rabbiner. Er ist Absolvent des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, und seine Ordination hat er heute in der Synagoge Weißer Storch im polnischen Breslau (Wrocław) erhalten. Ein historischer Moment, 75 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Seit 15 Jahren bildet das Potsdamer Kolleg liberale jüdische Rabbiner aus. Am Dienstag sind einige von ihnen erstmals außerhalb Deutschlands feierlich ordiniert worden - drei Rabbiner und eine Rabbinerin sowie drei Kantorinnen und Kantoren wurden in ihre geistlichen Ämter eingeführt. Der Ort dafür war symbolisch: Breslau war vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg das, was man heute eine Exzellenz-Universität nennen würde, einer der intellektuell führenden Orte des damaligen Deutschen Reiches.

Ein großes akademisches Erbe

Mit der Entscheidung, die Ordination hier zu feiern, griff das Geiger-Kolleg gleich mehrere historische Bezüge auf. Zum 160. Mal jährt sich die Gründung des Breslauer Jüdisch-Theologischen Seminars - es war die weltweit erste akademische Ausbildungsstätte für Rabbiner überhaupt, bis die Nationalsozialisten sie schlossen und das Gebäude im Krieg zerstört wurde. Vor bald 140 Jahren starb der große, in Breslau wirkende Reformrabbiner Abraham Geiger (1810-1874), der seinerzeit dem Stifter Jonas Fraenckel die Gründung des Jüdisch-Theologischen Seminars ans Herz gelegt hatte. Und schließlich fand die Amtseinführung im heutigen Wrocław ganz bewusst im Umfeld des 1. September statt, an dem vor 75 Jahren Nazi-Deutschland den Krieg begann.
So sprach auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der eigens zur Ordinationsfeier nach Breslau kam, von einer "echten Sternstunde". "75 Jahre nach dem verbrecherischen deutschen Überfall auf Polen", so der Minister, "feiern Deutsche und Polen gemeinsam die Renaissance jüdischen Lebens in Breslau." Dieses Ereignis wäre "noch vor mehreren Jahren undenkbar gewesen".
Der frisch gekürte französische Rabbiner Jonas Jacquelin ergänzt: "Da, wo man versuchte, uns zu vernichten, werden heute neue Rabbiner als Überträger jüdischer Tradition ordiniert." Und er betont die "Kraft der Weitergabe" von Generation zu Generation.

Renaissance jüdischen Lebens

Das passt zum Ort der Feier. Die Synagoge Weißer Storch erstrahlt seit 2010 wieder in altem Glanz. Doch gleich vor den Pforten der Synagoge bleibt der Innenhof eine Mahnung: Hier trieben die Nationalsozialisten die Juden Breslaus versammeln, als sie sie zwischen 1941 und 1944 in die Vernichtungslager schickten. "Wir sollten es niemals vergessen", mahnt eine Tafel.
Für die jüdische Reformwelt Kontinentaleuropas ist Breslau natürlich ein besonderer Meilenstein", sagt Sofia Falkovitch, die ihre Beauftragung als Kantorin empfing, und verweist auf Abraham Geiger. Für Falkovitch persönlich ist an diesem Tag aber noch ein ganz anderes Zeichen von Bedeutung. "Zum ersten Mal in Europa ist es Frauen möglich geworden, eine formelle mehrjährige Kantorenausbildung zu erhalten und offiziell ins Amt eingeführt zu werden."
"Steinmeiers kurze Rede nach der Ordinationsfeier wurde von Beifall unterbrochen, als er jeder Gewalt gegen Juden und Synagogen, jedem antisemitischen Hass eine strikte Absage erteilte. Auch der jüngste Gazakrieg dürfe nicht zu solcher Gewalt führen. Steinmeier dankte ausdrücklich den nun Graduierten. "Männer und Frauen, auch aus dem Ausland, absolvieren wieder eine Rabbinerausbildung in Deutschland." Daraus spreche ihr Vertrauen in Deutschland und seine Demokratie.
Der Außenminister wirkte fast gerührt. Denn die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, hatte vor ihm von einem neuen "kaltherzigen Judenhass" und ihren existenziellen Ängsten der vergangenen Wochen gesprochen. Für sie seien die neuen Würdenträger nun Hoffnungsträger. Und der hochbetagte Präsident des Geiger-Kollegs, Walter Jacob, erzählte von seinem 1. September 1939: In London, wohin die Familie geflohen war, hörte der damals Neunjährige vom Kriegsbeginn.

Junge Rabbiner aus aller Welt

Jacquelin, der vor seiner Potsdamer Ausbildung an der Pariser Sorbonne und in Jerusalem studierte, will ganz bewusst als Rabbiner in seine Heimat zurückgehen - in ein Land, aus dem jüngst Juden aus Furcht vor Anschlägen und Gewalt nach Israel auswanderten. Es würden häufig Attentate verübt, zum Beispiel von arabisch-muslimischen Einwanderern. Aber "gleichzeitig haben alle Regierungen dieses Phänomen entschlossen bekämpft".
Internationalität - das gilt für alle neuen Rabbiner und Kantoren: Geboren in Russland, Paraguay, Frankreich oder auch Hannover. Aufgewachsen und ausgebildet auf verschiedenen Kontinenten. Und als Rabbinerstudent oder Kantor dann bewusst nach Potsdam gegangen. Diese mittlerweile sechste Ordination liberaler Rabbiner zeigt auch, dass die jüdische akademische Ausbildung in und um Berlin erstarkt ist. Zunächst waren es die liberalen Juden, die sich an Ausbildung und Ordination wagten, nun lernen auch konservative und orthodoxe Rabbinerstudenten in der deutschen Hauptstadt.
Nach den Breslauer Feiern macht sich Jonas Jacquelin auf den Weg in seine Geburtsstadt Paris. Entschlossen und gelassen. Jüdisches Leben gibt es in Frankreich seit über zweitausend Jahren, sagt er. "Es ist wichtig, die Präsenz einer dynamischen jüdischen Gemeinde weiter zu erhalten. Sie ist Teil der Identität unseres Landes."

02.09.2014

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