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Pessach – aktueller denn je

von Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck, Vorsitzende der ARK

Seit langer Zeit waren wir als Jüdinnen und Juden nicht mehr so herausgefordert, die Freiheit zu verteidigen, wie in der Gegenwart. Pessach hat in diesem Jahr eine zusätzliche Bedeutung. Es geht nicht nur um die Erinnerung an den einstigen Weg in die Freiheit. Vielmehr leben wir mit akkuten Bedrohungen, die Freiheit wieder zu verlieren: Bedrohungen gegen die Demokratie in Deutschland, neue Kriegsszenarien in Europa und Israel, eine ungewisse Zukunft durch einen autokratisch gesinnten Präsidenten in den USA. 

In dieser Situation sprechen mich bestimmte Teile unserer Liturgie ganz neu an. Da gibt es zum Beispiel den Schabbat-Psalm (Ps. 92), den wir am Freitagabend lesen. In der Vergangenheit war ich oft froh, dass wir den Mittelteil leise lesen und bisweilen auch ganz überspringen. Es stehen darin Sätze wie: „Ein törichter Mensch erkennt es nicht, und ein unvernünftiger sieht es nicht ein, wenn Böse sprießen wie Gras, und alle Übeltäter blühen, damit sie auf ewig vertilgt werden.“ (Ps 92,7-8) Heute lese ich darin die ewige Herausforderung, das Böse zu sehen und zu erkennen, um es bekämpfen zu können. 

Gerade jetzt an Pessach denke ich oft an den Moment in der Tora, als sich das Schilfmeer für die Israeliten teilt und zu einem trockenen Weg wird, aber die Armee des Pharaos darin ertrinkt. Auf den ersten Blick erscheint es als Abfolge – erst schreiten die Israeliten trockenen Fußes, dann folgen ihnen die Ägypter. Je öfter man die Sätze liest, desto gleichzeitiger erscheinen sie. Vorne und hinten verkehren sich: 

„Und der Engel Gottes brach auf, der vor dem Lager Israels zog und ging hinter ihnen her; und die Wolkensäule brach auf von vorn und stand hinter ihnen.“ (Ex 14,19) Was für die Einen Licht und Orientierung bedeutet, wird für die Anderen Dunkel und Verwirrung: „Und kam zwischen das Lager Ägyptens und das Lager Israels: so war Wolke und Finsternis und erleuchtete die Nacht, und eines nahte nicht dem anderen die ganze Nacht.“ (Ex 14,20) Das, was für die Israeliten Rettung bedeutet, wird zum Fiasko für das pharaonische Heer. Man bemerke, dass an dieser Stelle ein Mensch – und nicht Gott allein – das Geschehen mitbewirkt. „Und Mosche streckte seine Hand aus gegen das Meer, und der Ewige führte das Meer hinweg durch einen heftigen Ostwind, die ganze Nacht und machte das Meer zu trockenem Boden und die Wasser wurden gespalten.“ (Ex 14,21) 

Ich möchte darin eine Metaphorik, ein absolutes Momentum lesen. Es geht um den Kompass zur Freiheit hin – und im selben Moment um die sich offenbarende, vollkommene Unvereinbarkeit von Freiheit und Diktatur. Dass die Israeliten die Freiheit gewinnen, bedeutet die gleichzeitige Niederlage des Pharaos. Es gibt keinen Zwischenweg, keinen Kompromiss. Möge auch uns dieses Momentum Kompass bleiben, wenn wir dieses Jahr Pessach im Angesicht der vielen neuen Bedrohungen feiern.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Chag sameach und viel Zuversicht,

Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck



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