Das erste Licht
von Rabbiner Andreas Nachama
Wenn ich die Bar- oder Batmizwa-SchülerInnen frage, welchen Feiertag sie am wichtigsten finden, dann bekomme ich überwiegend die Antwort: „Chanukka!“ Auf Platz 2 folgt Purim und erst dann Pessach oder Schabbat. An anderer Stelle in diesem Blatt kann man die aus gelehrter Position richtige Einschätzung lesen, dass Chanukka eher am unteren Rand der Bedeutung jüdischer Feiertage rangiert, wenn man denn überhaupt eine solche Hitliste aufmachen wollte.
Im Folgenden ein Versuch (unter vielen anderen möglichen) Chanukka seinen Platz im jüdischen Kalender zuzuweisen. Kein jüdischer Feiertag, kein Schabbat und natürlich kein Chanukka-Fest ohne „Lichtstrahl“, wie es Flavius Josephus, der Historiker, der den Makkabäerkrieg beschrieben hat, nannte. Tatsächlich ist unsere Menora, jener siebenarmige Leuchter, der den Tempel in Jerusalem schmückte, eines der berühmtesten Symbole des Judentums. Nicht von ungefähr haben im Laufe der Jahrhunderte jüdische Kunsthandwerker die acht Lichter der Chanukkatage zur Chanukkia – zum der Menora ähnelnden Leuchter geschaffen. Und dies auch mit inhaltlich gutem Grund, heißt es doch schon im ersten Kapitel der Bibel: „Es werde Licht, und es ward Licht“.
Ganz offensichtlich handelt es sich jedoch nicht um das Tageslicht, denn erst nachdem Meer und Flora geschaffen waren, gab es Sonne, Mond und Sterne. Das Licht war schon da. Der scheinbare Widerspruch hebt sich aber auch dann auf, wenn man die Bedeutung des Lichtes in der jüdisch-biblischen Vorstellungswelt betrachtet: Licht steht für die ideale Erkenntnis, aber auch für den richtigen Weg und für das Gute. (Jesaja 42,6: „Ich, der Ewige, habe dich berufen ... und dich eingesetzt ... zum Licht der Nationen“).
Wenn es also um Licht im Sinne von Erleuchtung geht, dann kommt dieser Feiertag gerade recht. Mögen all jene, die miteinander verfeindet waren und sind, erleuchtet werden: nur sie können zusammenkommen und miteinander Frieden schließen, sei es nun in der Ukraine auf unserem Kontinent oder im Nahen Osten. So wie es im Psalm 97, 11 heißt: „Licht ist ausgesät dem Gerechten“. So wollen wir denn hoffen, dass mit jedem Chanukka-Licht, das in den nächsten acht Tagen angezündet wird, mehr Licht für alle scheint, ja, dass die Lichter wieder angehen in allen Synagogen, dass wir bald wieder ganz ohne Masken unsere Gottesdienste feiern können. Wer jetzt nicht an Wunder glaubt, versteht Chanukka nicht.
Aus "Mitteilungblatt" der ARK zu Chanukka, Nr. 12, 5783 / 2022
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