Profis sind gefragt
Von Rabbiner Andreas NachamaDie Trennlinie zwischen Religionsgemeinschaften und Staat in Deutschland ist inhaltlich strikt, rechtlich bedingt und praktisch kaum wahrnehmbar gezogen. Dies findet in Staatsverträgen seinen sichtbaren Ausdruck, denn Religionsgemeinschaften, die gesetzte staatliche Bedingungen erfüllen, werden wie öffentliche Einrichtungen subventioniert.
Die Professionalisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland hat dazu geführt, daß es hier kaum noch gewählte Mandatsträger gibt, die oberhalb der Kreisebene nicht für ihre Tätigkeiten als Stadträte, Bürgermeister oder Abgeordnete besoldet werden. Denn der Anspruch auf eine Amtsführung, die nicht zur Verquickung mit privatem wirtschaftlichen Interesse führt, ist genauso selbstverständlich, wie die Verfügbarkeit der Person rund um die Uhr. Diese Amtsträger erwarten von den jüdischen Gemeinden keine Geschäftsführer oder Abteilungsleiter als Gesprächspartner, sondern gewählte Vorsitzende auf gleicher Augenhöhe.
Die Gesellschaft in Deutschland hat sich festgelegt. Fast alles, was etwa in den USA ohne jede staatliche Unterstützung auskommen müßte und aus Spenden- oder Beitragseinnahmen der Mitglieder finanziert wird, wird hierzulande mit staatlichen Mitteln unterstützt. So findet sich in New York an jeder Ecke eine autonome jüdische Gemeinde, mit meist nicht mehr als ein paar hundert Mitgliedern, in der diese durch ihre Mitgliedsbeiträge bestimmen, was geleistet werden kann. Gefällt einem Mitglied in New York sein Rabbiner, Kantor oder Gemeindevorsitzender nicht, wechselt er zum nächsten Beitragsjahr in die Gemeinde, die eine Ecke weiter residiert. Fehlt einem Mitglied eine Leistung, dann muß er eine Gemeinde finden, die diesen Dienst bereits anbietet, meist mit der Konsequenz, daß der Beitragssatz entsprechend höher ist. Die Gemeinden in den USA bestehen oft nur aus einer Synagoge, einem Klassenraum für die SundaySchool und einem Friedhof.
Wir jedoch leben in einer vom Sozialstaatsdenken geprägten Gesellschaft mit Anspruch auf umfassende Dienste einer jüdischen Gemeinde, die in Qualität und Gebühren staatlichen Einrichtungen nicht nachstehen. An die Mitarbeiter werden die gleichen Ansprüche gestellt, wie an die des öffentlichen Dienstes. Von den Vorsitzenden wird ganz selbstverständlich erwartet, daß sie nicht nur in der Gemeinde rund um die Uhr für Ordnung sorgen, sondern sich auch in der Stadt oder im Bundesland zu Fragen des Neonazismus, Rechtsradikalismus, internationalen Terrorismus und anderen auf der Agenda stehenden gesellschaftlichen Fragen artikulieren und die Befindlichkeit ihrer jüdischen Gemeinde zum Ausdruck bringen. All das wird von einem ehrenamtlichen Vorsitzenden selbst der größten jüdischen Gemeinde in New York nicht erwartet – weil man es auch nicht erwarten kann. Diese Vorsitzenden werden meist nur für zwei Jahre gewählt. Ihre Tätigkeit beschränkt sich auf wöchentliche Sitzungen mit der Handvoll Angestellten: dem Rabbiner, Kantor, Lehrer, Schamasch und der Sekretärin sowie die Teilnahme an den Schabbat- und Feiertagsgottesdiensten.
Wer also den Anspruch auf Mammuteinheitsgemeinden mit acht Synagogen, drei Altenheimen, zwei Schulen, einem Kindergarten, zwei Gemeindehäusern, zwei in Betrieb befindlichen Friedhöfen, einem Personalkegel von rund 300 Stellen und einem Haushalt von mehr als 25 Millionen Euro hat, der wird schwerlich aufbegehren können, wenn gewählte Vorsitzende eines solchen Unternehmens besoldet werden – wie Intendanten an der Oper, Präsidenten eines vergleichbaren Stadtwerks oder Staatssekretäre eines entsprechenden Ministeriums.
Wenn ich also nachhaltig für die Besoldung von gewählten Gemeindevertretern plädiere, dann meine ich damit nicht, die mitglieder- und institutionsmäßig kleinen Gemeinden, sondern die Großunternehmen. Sie benötigen professionelle Mandatsträger, die Verantwortung tragen. Das kann nicht im Nebenamt geschehen. Ich selbst hätte als Direktor einer vom Bund und Land getragenen Stiftung wohl kaum die Zeit aufbringen können, die die Jüdische Gemeinde zu Berlin ihrem Vorsitzenden abverlangt, geschweige denn für die Gemeinde öffentliche politische Erklärungen abgeben können, hätte ich mich nicht für meine Amtsperiode als Vorsitzender beurlauben lassen.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin sieht in ihrer Satzung seit der unmittelbaren Nachkriegszeit ausdrücklich vor, daß ein Mitglied des Vorstandes auf Beschluß der Repräsentantenversammlung besoldet werden kann. So wurde es jahrzehntelang praktiziert. Wo die Sachlage ähnlich ist wie in Berlin, sei dieses Modell auch andernorts empfohlen, denn anders wird die vom Staat letztlich vorgegebene Struktur, in einer Gebietskörperschaft alle religiösen Institutionen und Richtungen einer Glaubensgemeinschaft in jeweils einer Einheitsgemeinde zusammenzufassen, nicht realisierbar sein.
Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der "Jüdischen Allgemeinen",
dort erschienen am 6.4.2006
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