Auch die jüdische Gemeinde braucht Pluralität
Die zuständige Ministerin sollte die Jüdische Liberale Kultusgemeinde anerkennen, damit das Judentum in Österreich wieder aufblühen kannVon Rabbinerin Antje Yael Deusel
"Das Judentum" als monolithischen Block gibt es nicht; es besteht aus unterschiedlichen Strömungen. Das Grundrecht der Religionsfreiheit zu beachten, heißt das Recht auf diese Pluralität zu respektieren. Aus diesen Gründen fordere ich Bundesministerin Claudia Schmied auf, die Jüdische Liberale Kultusgemeinde so rasch wie möglich anzuerkennen.
Bei meiner Ordination 2011 in Bamberg sagte Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Lasst hundert neue Rabbiner hier blühen - damit auch wieder das Judentum in Deutschland aufs Neue blühen kann! Und bunt gemischt soll außerdem auch noch die neue Blüte unter den Rabbinern sein: progressiv und orthodox, modern und traditionell."
Der Zentralrat der Juden in Deutschland als eine Vertretung für Juden aller Denominationen, basierend auf dem demokratischen Grundsatz der Gleichheit. Und es ist gerade die Pluralität, die sich in Deutschland wieder zu entfalten beginnt, die ein Wiederaufblühen jüdischen Lebens charakterisiert, nach langen Jahren der Stagnation auf verbrannter Erde.
Seit 1939 hat Bamberg zum ersten Mal wieder einen Rabbiner, genauer gesagt: eine Rabbinerin, in meiner Person. Schon vor einigen Jahren gab mir die Gemeinde die Möglichkeit, regelmäßig in ihrer Synagoge vorzubeten. Es gab damals viel Zustimmung - aber auch Widerstand, insbesondere seitens unserer orthodoxen Mitglieder. Warum? War meine Art des Betens, waren meine Predigten zu beanstanden? Nein, nein, das sei schon alles in Ordnung, es sei sogar sehr gut - aber eine Frau auf der Bima, das sei eben nicht hinnehmbar. Mittlerweile hat sich die Ausrichtung der Gemeinde verschoben; sie versteht sich weiterhin als traditionell, aber im Kern nicht mehr als orthodox, sondern als konservativ. Und eine Rabbinerin ist kein Tabu mehr, sondern eine gerne akzeptierte und wertgeschätzte Realität.
Das Judentum hat nun einmal, unbestreitbar, unterschiedliche Strömungen, von liberal über konservativ bis orthodox. Alle diese Strömungen basieren auf der gleichen Halacha, den gleichen religiösen Grundwerten. Aber sie leben ihr Judentum auf jeweils unterschiedliche - und doch keinesfalls beliebige - Weise. Was in Deutschland und anderen Ländern möglich ist, muss auch in Österreich verwirklicht werden können. Daher unterstütze ich die Forderung nach Anerkennung einer Jüdischen Liberalen Kultusgemeinde. Österreich steht, ebenso wie Deutschland, in einer historischen Verantwortung gegenüber seinen jüdischen Bürgern. Diese Verantwortung der Republik besteht gegenüber Juden und Jüdinnen aller Strömungen, nicht bloß gegenüber solchen der Orthodoxie. Denn Österreich war auch die Heimat von liberalen Juden, wie Rabbiner Adolph A. Jellinek oder Oberkantor Salomon Sulzer. Und von Obermedizinalrat Heinrich Haase, der 1933 in Wien einen "Verein für fortschrittliches religiöses Judentum" gründete und 1943 im KZ Theresienstadt umkam. Es war Sigmund Freud, der sagte: "Als Jude war ich dafür vorbereitet, in die Opposition zu gehen und auf das Einverständnis mit der kompakten Majorität‘ zu verzichten."
Wiener Zeitung, 2.5.2012
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