hauptmotiv

„Dein Haus sei weit geöffnet“

Jüdische Theologie an der Universität Potsdam: „Ein Geschenk für unser Land“

„Die heutige Eröffnung des Europäischen Zentrums jüdischer Gelehrsamkeit an der Universität Potsdam ist ein Meilenstein in der Geschichte unseres Landes und ein Höhepunkt des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, erklärte der ARK-Vorsitzende Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama. „Dass heute an einer deutschen Universität liberale und konservative Rabbiner*innen und Kantor*innen für ganz Europa ausgebildet werden, ist eine Entwicklung, für die wir nach der Schoa nur dankbar sein können.“

Auch Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier sprach im Rahmen des Festaktes am 18. August von Dankbarkeit und nannte das neue Zentrum „ein Geschenk für unser Land“. Er fand aber auch mahnende Worte: „Antisemitismus ist immer ein Seismograph dafür, wie es um unsere Demokratie steht. Je offener, je aggressiver er sich äußert, umso mehr geraten die Werte, auf denen unser Grundgesetz gründet, geraten Achtung der Menschenwürde und Toleranz in Gefahr.“ In seiner Rede kam der Bundespräsident auch auf Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob zu sprechen, den Präsidenten des Abraham Geiger Kollegs: „Walter Jacob, dessen Namen das Gebäude nebenan jetzt trägt, Walter Jacob sprach davon, dass sich die jüdische Gemeinde in seiner damaligen Heimatstadt Augsburg vor dem Krieg vollkommen zu Hause gefühlt habe. Die Barbarei des Nationalsozialismus hat jüdisches Leben in Deutschland fast völlig ausgelöscht. Umso dankbarer bin ich, dass es wieder auf blüht, dass Gemeinden wachsen, dass wir heute hier stehen. Aber ich weiß: Nur wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder vollkommen zu Hause sind, sich vollkommen sicher fühlen, nur dann ist dieses Land ganz bei sich.“

„Wir sind zu Recht stolz auf die Traditionen jüdischer Gelehrsamkeit in unserem Land“, betonte Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentral rats der Juden in Deutschland. „Die Lehren von Abraham Geiger und Zacharias Frankel dienen als Richt schnur zur Standortbestimmung für jüdische Studierende, die sich der liberalen oder im englischen Sprachgebrauch „conservative“ Richtung zurechnen und Rabbiner oder Kantor werden wollen.“

Unter den 250 Gästen aus Politik, Religion und Gesellschaft waren auch etliche Mitglieder der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, darunter viele Absolventen des Abraham Geiger Kollegs. Sie waren sich mit Dr. Schuster einig: „Mit der Eröffnung setzen wir ein wichtiges Zeichen unseres Glaubens an die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland.“ Das Europäische Zentrum für jüdische Gelehrsamkeit, unter dessen Dach die School of Jewish Theology, das Abraham Geiger Kolleg und das Zacharias Frankel College verbunden sind, ist Ausdruck eines pluralistischen Judentums: egalitär, zeitgemäß und offen für den Dialog. Das Zentrum mit seiner Universitätssynagoge als Herzstück soll auch ein Ort der Begegnung sein. Letztlich vollendet sich mit der Eröffnung ein Prozess, den der jüdische Gelehrte Abraham Geiger 1836 mit den Worten anstieß, dass die Emanzipation des deutschen Judentums erst dann vollendet sei, wenn die Ausbildung der jüdischen Geistlichen mit der der christlichen Kirchen gleichgestellt sei.

Was aber bedeutet der Name „jüdische Gelehrsamkeit“? Dazu Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka, der spiritus rector des Zentrums: „Uns war wichtig, dass der Begriff nicht nur akademisches Studium signalisiert, sondern auch damit konfrontiert, dass jüdisches Leben ohne Studium, ohne das ständige sich Auseinandersetzen mit der jüdischen Tradition und den jüdischen Texten gar nicht denkbar ist. Und deswegen, weil es um die Verschränkung von Theorie und Praxis, von akademischem Zugang und religiös spirituellem Zugang geht, fanden wir den Begriff Gelehrsamkeit eigentlich umfassender und schöner.“

Bei der Eröffnung wurde ein Satz aus den Sprüchen der Väter zitiert, der die Arbeit des neuen Zentrums als Motto und Wunsch begleiten soll: „Dein Haus sei weit geöffnet.”

Hartmut Bomhoff
ARK-Mitteilungsblatt Nr. 8, Rosch Haschana 2021 / 5782



Literaturempfehlung
„Ein Haus für jüdische Theologie. Architekturführer“


1758 hat Carl von Gontard das kö nigliche Hofgärtnerhaus und die Orangerie am Neuen Palais Potsdam errichtet. Für das 1999 gegründete Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam wurde es umgebaut und saniert. Damit hat 2021 am Schlosspark Sanssouci das erste Rabbinerseminar Europas nach der Schoa seine räumliche Heimat gefunden. Auch die 2013 errichtete School of Jewish Theology und das konservative Zacharias Frankel College finden hier ihren Ort. Gemeinsam bilden sie ein einzigartiges europäisches Zen trum jüdischer Gelehrsamkeit. Spiritueller Mittelpunkt für die Ausbildung von Rabbinern und Kantoren ist Potsdams erste Synagoge nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem zeitgenössischen Kunstwerk der Südkoreanerin SEO. Das historische Ensemble erhält an der südlichen Glasfront der Orangerie einen weiteren kontemporären Akzent durch Eva Leitolfs Werk „This Is Not a Thornbush“. Das Buch stellt dieses spannende Zusammen spiel von Geschichte und Moderne vor

Anne-M. Brenker, Walter Homolka (Hrsg.): Ein Haus für Jüdische Theologie. Architekturführer. 128 Seiten, vierfarbig, mit zahlreichen Abbildungen. Verlagsgruppe Patmos, Ostfildern 2021, ISBN 978-3-8436-1272- 2, 20,- €.

Artikelarchiv >>
Rabbiner & RabbinerinnenStrömungenPositionenBet DinPublikationenLinksImpressum
Bookmark für: Facebook
Home
logo der allgemeinen rabbinerkonferenz

© Allgemeine Rabbinerkonferenz
Meldungen

Trauer um Rabbiner Walter Jacob sel. A.

Das Abraham Geiger Kolleg trauert um seinen Gründungspräsidenten, Rabbiner Prof. Walter Jacob, der am 20. Oktober, im Alter von 94 Jahren in Pittsburgh in seine Welt gegangen ist. Ihn leitete zeitlebens das Jesaja-Wort „Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt, obwohl Finsternis das...

Lesen Sie mehr...

Wie kommt ein Jude in den Himmel?


Paraschat Haschawua

TOLDOT

Auslegung von Rabbiner Strasko

Jizchak Awinu - Isaak unser Vater

Wir sprechen über Abraham Awinu: Abraham, unser Vater. Wir ehren Jakob unter dem Namen Israel als das geistige Fundament dessen, was es bedeutet, Jude zu sein: mit G-tt zu kämpfen. Aber gibt es nicht auch einen Vorfahren, der zwischen den beiden steht? Was ist mit Isaak?

Das Problem drängt sich sofort auf, wenn wir Paraschat Toldot lesen: "Dies ist die...

29.11.2024   Lesen Sie mehr...