hauptmotiv

SCHMINI

Der Tag des Menschen

Auslegung von Rabbinerin Elisa Klapheck

Der achte Tag – das ist ein besonderer Tag im Judentum. Eigentlich ist der biblische Kosmos auf der Zahl sieben aufgebaut – mit dem wöchentlich wiederkehren Schabbat, dem heiligen siebten Tag, als dem Grundprinzip. Von hier aus gesehen reicht der 8. Tag in etwas Neues, etwas Unabgeschlossenes, Zukünftiges, aber auch schon Messianisches. So wird zum Beispiel am 8. Tag ein neugeborener Junge beschnitten und in den Bund aufgenommen. Das Laubhüttenfest dauert sieben Tage, doch am achten Tag gibt es einen Zusatzfeiertag – er heißt Schmini Azeret, wörtlich übersetzt: Schmini = „der 8.“ - Azeret – die „Versammlung“ – der „achte Tag der Versammlung“. An ihm nehmen die Menschen wieder die Tora neu an. Es folgt das Fest der Freude der Tora, an dem in den Synagogen mit den Torarollen im Arm getanzt wird.

Und auch jetzt lesen wir einen Abschnitt über einen achten Tag. Der Abschnitt heißt „Schmini“ – der Achte – und beginnt im Dritten Buch Mose, Kapitel 9 mit den Worten: „Am achten Tage aber rief Moses Aron und seine Söhne und die Ältesten Israels.“ Hier ist es Moses, der seinen Bruder Aron und dessen Söhne und die Ältesten Israels ruft. Moses – und nicht Gott.
Zum Vergleich der Anfang des vorherigen Tora-Abschnitts, der mit Kapitel 6 beginnt: „Und der Ewige sprach zu Moses…“

Es macht einen Unterschied ob in der Tora Gott oder ob Moses spricht. In den vorherigen Kapiteln war es Gott, der Anweisungen gibt, wie die Priester in einem siebentätigen Ritus in ihr Amt einzusetzen sind.
Doch jetzt, am achten Tag spricht Moses. Er fordert die Priester sowie die Kinder Israel auf, die von Gott verlangten Opfer darzubringen – mit der Begründung „denn heute wird euch der Ewige erscheinen“ (9, 5)
Die Priester und Kinder Israel tun, wie ihnen gesagt – weiter heißt es: „und die ganze Gemeinde trat hinzu und stellte sich vor dem Ewigen auf. Und Moses sprach: Das was der Ewige befohlen, sollt ihr tun, damit euch die Herrlichkeit des Ewigen erscheine.“ (9, 6)
Herrlichkeit – ist hier das Wort „Kawod“ – die Ehre, die Würde, die Herrlichkeit – heute sagt man hierzu die „Schechina“ – die Anwesenheit Gottes.

An dieser Stelle bezeugt die Tora einen tiefgreifenden Wechsel der Perspektive.
Bislang konnte man denken, man soll die Opfer darbringen, weil Gott es so will. Doch jetzt nennt Moses eine ganz andere Begründung: Man soll die Opfer darbringen, damit einem die Herrlichkeit Gottes erscheine. Anders gesagt: Man praktiziert einen Ritus, damit man aufgrund der Rituale Gottes Präsenz erleben kann.

Mindestens genauso wie um Gott geht es um den Menschen, der das Potential hat, Gott durch Rituale erleben zu können. Damit ist etwas ganz Existentielles angesprochen. Unter denjenigen, die die jüdischen Rituale praktizieren, gibt es durchaus einige, die sich fragen, warum sie das tun. Warum geht man am Samstag in die Synagoge, warum feiert man althergebrachte Bräuche? Wer lange nicht mehr an einem jüdischen Ritual teilgenommen hat, empfindet durchaus Scheu, wieder in die rituelle Praxis einzusteigen – das Leben geht doch auch ohne die rituell bestätigte Beziehung zu Gott, ohne einen Transzendenz-Bezug, ohne festgelegte Zeiten für die religiöse Praxis.
Und wer dann doch wieder an einer Feierlichkeit teilnimmt, ist zumeist beeindruckt von dem Erlebnis, ist berührt von dem jeweiligen Ritual – eine verklungene Saite in der Seele wurde unverhofft zum Klingen gebracht, ein verschüttetes Wissen ins Bewusstsein gehoben, eine ganz alte Sichtweise aktualisiert.
Das sagt uns Moses am 8. Tag – wenn alles vorbereitet ist, die Priester in ihr Amt gesetzt worden waren und es losgehen kann. Dann soll ein Ritual gemacht werden, jedoch nicht weil Gott es so will, sondern damit die Menschen sich einen Anstoß geben, Gottes Herrlichkeit erkennen zu können.

Nach sieben Tagen der Schöpfung – beziehungsweise hier sieben Tagen der Priestereinsetzung – ist der achte Tag der Tag des Menschen. Jetzt liegt es am Menschen, etwas zu tun, um die Beziehung zu Gott herzustellen. Das Kapitel endet mit dem Segen für die Menschen, die durch das Ritual, hier den Opferritus, ihre Beziehung zu Gott aktiviert haben. „Und Mose und Aaron gingen in das Stiftszelt, und als sie wieder herauskamen segneten sie das Volk; da erschien die Herrlichkeit des Ewigen dem ganzen Volke.“ (9, 23)

Als wegen der Corona-Krise gemeinschaftliche Rituale kaum möglich waren, die großen Pessachfeiern in den Jüdischen Gemeinden abgesagt wurden, wurde  das Bedürfnis für die Rituale sehr bewusst gefühlt. In meiner Gemeinde boten wir online-Gottesdienste an.
Zu meinem Erstaunen haben sich viele Gemeindemitglieder eingeloggt, auch Leute, die schon länger nicht mehr an den religiösen Aktivitäten teilgenommen hatten. Sie sagten mir, dass es für sie eine eigene religiöse Erfahrung war, wieder dabei zu sein – verbunden zu sein.

Es lebe das Ritual – auch unter neuen Bedingungen.

Schabbat Schalom

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb), dort gesendet am 17.04.2020.


21.04.2023 Artikelarchiv >>
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