BALAK
Wir sind gesegnet
Auslegung von Rabbiner Henry G. BrandtIn Bileam, dem Sohn Be’ors, begegnet uns im Wochenabschnitt dieses Schabbats eine rätselhafte und umstrittene Gestalt. Wer war dieser rätselhafte Mann, dessen Ruf so bedeutend und weitverbreitet war, dass man glaubte, das Wort seines Mundes könne Segen oder Fluch über seine Mitmenschen bringen? Die Bibel gibt nur eine qualifizierte Antwort und deutet an, er sei wohl unter die Widersacher des Volkes Israel einzureihen, doch vermeinen bedeutende Kommentatoren im Text genügend Gründe zu finden, Bileam als verkörperte Gottgläubigkeit, Beispiel des Gehorsams und begnadeten Empfänger der Macht der Prophetie zu bezeichnen.
Nach ihrer langen Wüstenwanderung haben die Kinder Israel die Grenzgebiete des Landes Kanaan erreicht. Die Völker und Stämme, die ihnen den Durchgang verweigern und sie bekämpfen wollten, wurden geschlagen und ihre Ländereien eingenommen. Zu jener Zeit war Balak, Sohn Zippors, König über Moab. In seiner Bedrängnis ließ er sich etwas ganz Originelles zur Abwehr gegen Israel einfallen. Da er seine Ohnmacht, mit militärischen Mitteln zu gewinnen, einsah, verfiel er auf eine Idee, die nur im Rahmen der Kultur und des Glaubens jener fernen Zeit zu verstehen ist. Er sandte Boten an Bileam, Seher, Prophet, Zauberer, Meister der magischen Worte, Menschenkenner – und forderte ihn auf, gegen viel Reichtum und Ehre Israel zu verfluchen, denn – so wörtlich: „... ich weiß, wen du segnest ist gesegnet, und wen du verfluchst ist, verflucht.“ Bemerkenswerterweise weist Bileam die Zuschreibung solcher Macht mit keinem Wort zurück; es scheint, er selbst ist von solch einer ihm innewohnenden Fähigkeit überzeugt. Nach einem gewissen Zögern und mit der Erlaubnis Gottes zieht er mit den abgesandten Fürsten zu Balak, stellt aber von vornhinein fest, dass er nur das sprechen werde können, was Gott ihm erlaube: „Siehe“, spricht er zu seinem Auftraggeber König Balak, „ich bin jetzt zu dir gekommen. Aber bin ich im Stande, etwas zu reden? Das Wort, das mir Gott in den Mund legt, das muss ich reden.“
Das Wort, das Gott Bileam in den Mund legt, ist das Gegenteil von dem erwarteten und erhofften Fluch. So hebt er an: „Aus Aram ließ Balak mich holen, der König Moabs aus den Bergen des Osten. ‘Komm, verfluchte mir Jakob, komm verwünsche Israel.‘ Wie soll ich fluchen, wem Gott nicht flucht? Wie soll ich verwünschen, wen der Herr nicht verwünscht?“
Es ist wohl kaum verwunderlich, dass König Balak sich betrogen fühlte und er Bileam mit Schimpf und Schande entließ. Um ihm irgendwelchen Schaden zuzufügen, dafür hatte er vor dem großen Seher wohl zu viel Angst.
Dass den Stämmen Israel kurz darauf wieder einmal Verderben durch Sünde droht, ist vordergründig auf jeden Fall den eigenen Schwächen zuzuschreiben. Was die subtilen Absichten Balaks nicht erreichen konnten, schaffen beinahe die schönen Frauen seines Volkes. Sie bezaubern die israelitischen Männer und verführten sie zum Abfall von ihrem Glauben. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Lernen können wir aus der Geschichte: Der Fluch, den andere über uns sprechen oder sprechen wollen, hat keine Macht, unser Schicksal zu bestimmen. Die einzigen, die uns in den Fluch stürzen lassen können, sind wir selbst.
Ich entbiete Ihnen, meine lieben Zuhörer, den Gruß des Schabbatfriedens, Schabbat Schalom.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des NDR, dort gesendet am 06.7.2012.
02.07.2021 Artikelarchiv >>
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