hauptmotiv

SCHEMOT

An sich arbeiten

Mosches Werdegang zeigt, dass auch Helden sich weiterentwickeln müssen

Auslegung von Rabbiner Boris Ronis

Der erste Eindruck sagt viel über einen Menschen aus. Schauen wir jemanden an, dann bilden wir uns ein erstes Urteil über die Person: Wie ist sie gekleidet, welche Mimik und Gestik hat sie? In diesem Zusammenhang entscheiden wir, ob jemand für uns vertrauenswürdig ist oder eher nicht.

Für uns bedeutet es: Vorteilhaft auszusehen und auf andere zu wirken, sind Momente, die in unserem Leben doch recht wichtig sind. Sei es im privaten Bereich, wenn man das erste Mal jemandem begegnet, oder auch im beruflichen Bereich – es zählt immer der erste Eindruck.

Genauso wichtig ist der erste Eindruck, den man hat, wenn man über jemanden etwas hört. Auch dieser erste Eindruck verschafft einem ein erstes Bild der Person. Es ist der Ruf, der einem vorauseilt.

LICHT

Ein Midrasch, der Mosche anfänglich umschreiben soll, schildert, wie seine Mutter Jochewed ihn sieht: als gut. »Gut« bezieht sich in diesem Fall nicht auf das Aussehen, sondern auf den Charakter. So sagt der Midrasch, dass sich das Haus seiner Eltern bei seiner Geburt mit Licht füllte (Schemot Rabba 15).

Doch in unserer Parascha erfahren wir noch ganz andere Dinge über Mosche – zum Beispiel, dass er einen ägyptischen Aufseher erschlägt. Mosche tötet einen Ägypter, der einen Hebräer schlägt, und vergräbt ihn im Sand (2. Buch Mose 2,13). Wie kann das sein? Mosche, der größte aller Propheten, ist am Anfang seines großen Weges ein ordinärer Mörder? Dieses Bild passt nicht in unsere Vorstellung von ihm. Offen bleibt allerdings auch die Frage, ob Mosche den Ägypter vorsätzlich erschlug oder ob er ihn lediglich derart verletzte, dass er an den Folgen starb.

Für sich und die Seinen einzustehen, kann zu schwerwiegenden Entscheidungen und entsprechenden Konsequenzen führen. Doch wissen wir, dass Mosche zu einem unserer wichtigsten Anführer wurde. War das der Preis, den er zahlen musste, um eine solche Rolle übernehmen zu dürfen?

MIDRASCH

Es gibt einige Midraschim, die uns Mosches Wirken und seine Art näherbringen wollen. Einer erzählt uns, dass Mosche als Kind im Palast des Pharaos oft spielte. Einmal soll er dabei die Krone des Pharaos an sich genommen und sich auf den Kopf gesetzt haben.

Die Ratgeber des Pharaos sahen darin ein böses Omen und rieten dem Herrscher, Mosche sofort zu töten. Doch es war der Priester Jitro, der das Kind auf die Probe stellen wollte. Er riet, vor Mosche ein Gefäß mit Gold und eines mit glühenden Kohlen aufzustellen. Würde Mosche nach dem Gold greifen, wäre er gefährlich und würde nach Macht streben. Wenn er seine Hand aber nach der Kohle ausstreckte, dann wäre seine Natur nur die eines unwissenden Kindes – und er wäre ungefährlich für den Pharao.

Der Midrasch erzählt, wie sich Mosche – geführt durch einen Engel – für die Kohle entschied und sich dabei seinen Mund verbrannte. Sein Leben war gerettet, doch war er seitdem »von schwerem Mund und schwerer Zunge geprägt« (2. Buch Mose 4,10 und Schemot Rabba 22).

HERKUNFT

Der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel bezeichnete Mosche einmal als den »einsamsten Helden in der biblischen Geschichte«. Mosche, der am Hofe des Pharaos fast wie der eigene Sohn jenes mächtigen Herrschers aufwuchs, genoss ein privilegiertes Leben. Doch muss ihm seine Herkunft bekannt gewesen sein, was ihn sicherlich bei Hofe betrübte. Er wird gewusst haben, wer seine Eltern waren und dass sein Volk dem Pharao als Sklaven diente. Seine Herkunft und das schwere Schicksal seiner Leute prägten ihn, machten ihn nachdenklich und zugleich empfindsam für die Not und das Bedürfnis seiner Landsleute nach Freiheit.

Ein junger Mensch, der noch nicht mit solcher Wucht, solchem emotionalen Stress umgehen kann, wird natürlich von seinen Gefühlen übermannt, wenn er auf Unrecht stößt. Und so ist sein Handeln impulsiv und zugleich zerstörerisch, als er einen leidenden Hebräer sieht, der von einem ägyptischen Aufseher gepeinigt wird.

Die Folge ist ein gewiss nicht gewollter Akt der Zugehörigkeit, der aber mit dem Tod des Aufsehers endet und Mosche in eine unhaltbare Position bringt. Das Gleichgewicht seines Handelns ist seitdem für immer verschoben. Er hat sich für sein Volk entschieden und durch die Tat der Tötung des ägyptischen Aufsehers endgültig vom Hofe des Pharaos verabschiedet. Auf kurz oder lang bleibt ihm als Option nur das Exil.

Mosche entscheidet sich auch in der Fremde, gegen das Unrecht und für die Schwächeren einzutreten. Schon kurz nach seiner Flucht begegnet er weiterem Unrecht an einem Brunnen, an dem er rastet. Dort werden Frauen benachteiligt und von den weitaus stärkeren Hirten drangsaliert. Mosche mischt sich ein, obwohl die Frauen, die seine Hilfe brauchen, keine Hebräerinnen sind, sondern Midianiterinnen. Er folgt dem Ruf der Gerechtigkeit und hilft den Schwächeren.

Das ist einer von Mosches Charakterzügen. Während seines längeren Aufenthalts in Midian wird er ihn weiter verinnerlichen und entwickeln.

Mosches Geschichte zeigt uns, dass Menschen, auch wenn sie mit guten Eigenschaften zur Welt kommen, sie weiterentwickeln müssen. Das gute Herz eines Helden benötigt genauso seine Formung und Einsicht, wie es bei jedem Menschen der Fall ist. Wichtig sind die Entscheidungen und die daraus resultierenden Taten, die uns zu dem machen, was wir sind.


INHALT
Der Wochenabschnitt Schemot erzählt von einem neuen Pharao, der die Kinder Israels versklavt. Er ordnet an, alle männlichen Erstgeborenen der Hebräer zu töten. Eine Frau aus dem Stamm Levi will ihren Sohn retten und setzt ihn in einem Körbchen auf dem Nil aus. Pharaos Tochter findet das Kind, adoptiert es und gibt ihm den Namen Mosche. Der Junge wächst im Haus des Pharaos auf. Erwachsen geworden, erschlägt Mosche im Eifer einen Ägypter und muss fliehen. Er kommt nach Midian und heiratet dort die Tochter des Priesters Jitro. Der Ewige spricht zu Mosche aus einem brennenden Dornbusch und beauftragt ihn, zum Pharao zu gehen und die Kinder Israels aus Ägypten hinauszuführen.
2. Buch Mose 1,1 – 6,1


Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen. Der Artikel ist dort am 2. Januar 2018 erschienen.

12.01.2024 Artikelarchiv >>
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