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TOLDOT

Ein Traum von Leben

Jizchak repräsentiert eine ideale, messianische Welt

Auslegung von Rabbiner Pal

Unser Wochenabschnitt beginnt mit den Worten: »Dies sind die Nachkommen Jizchaks, des Sohnes von Awraham«. Diese Worte weisen darauf hin, dass der Text vom Leben Jizchaks, des zweiten Patriarchen unserer Tradition, handelt. Anders als sein Vater Awraham und sein Sohn Jakow steht er bei wichtigen Ereignissen seines Lebens, der Akeda (1. Buch Mose 22) und dem Segnen seiner Söhne (Kapitel 27), selbst nicht im Mittelpunkt, sondern sein Vater und seine Nachkommen.

Rabbiner Gunther W. Plaut (1912–2012) bezeichnet Jizchak als den Patriarchen, der am wenigsten definiert ist, der aber eine wichtige Rolle als Bindeglied zwischen Awraham und Jakow spielt. Jizchak kommt, im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Sohn, eine untergeordnete Rolle zu: Anders als sie stiftet er keine Religion und gründet kein Volk. Er verlässt nie das Land, ist mit nur einer Frau verheiratet, hat nur mit ihr Kinder, und sein Name wird nie geändert. All dies unterscheidet ihn grundlegend von seinem Vater und seinem Sohn.

Um die Einzigartigkeit Jizchaks zu verdeutlichen, wollen wir diese Unterschiede etwas genauer betrachten.

Sesshaft

Der erste Unterschied bezieht sich auf die Sesshaftigkeit und den Wohnort der drei Patriarchen. Awraham wurde bekanntlich in Ur geboren und wanderte mit seiner Familie in das Land Kenaan aus, das er jedoch in Richtung Ägypten verlassen musste, als eine Hungersnot ausbrach.

Auch Jakow verließ das Land, in dem er geboren wurde. Er musste vor dem Zorn seines Bruders Esaw in die Heimat seiner Mutter fliehen. Den Lebensabend verbringt er in Ägypten, wohin er und seine Söhne wegen einer großen Hungersnot fliehen.

Jizchak hingegen verbringt sein gesamtes Leben im Land Kenaan. Die Tora warnt ihn sogar zweimal, dass er das Land nicht verlassen dürfe. Das erste Mal passiert es, als Awrahams Knecht vorschlägt, Jizchak in das Land seines Vaters zu bringen, damit er dort die Frau heiratet, die der Knecht für Jizchak findet. Awraham erwidert mit einer sehr klaren Aussage, dass dies nicht geschehen soll: »Hüte dich, meinen Sohn dorthin zurückzubringen.«

Das zweite Mal wird Jizchak gewarnt, als wieder einmal Hunger herrscht und er nach Gerar reist. Da greift der Ewige selbst ein, indem er Jizchak erscheint und ihm unmissverständlich erklärt: »Zieh nicht nach Ägypten hinab! Bleib in dem Land, das ich dir zeigen werde!« Der Warnung folgt sogleich ein Versprechen, Jizchak zu segnen und seine Nachkommen groß zu machen.

Hier zeigt sich der große Unterschied zwischen Jizchak und den beiden anderen Patriarchen. Während Awraham und Jakow von einem Land ins nächste ziehen und der Tradition des wandernden Juden entsprechen, ist Jizchak sesshaft. Er hat ein Zuhause, hat eine Heimat. Er lebt in seinem Land, das schon seinem Vater versprochen wurde.

Jizchaks Leben zeigt, dass es auch für einen Juden möglich ist, sein ganzes Leben an einem Ort zu verbringen, ja, ihn sogar als Heimat zu betrachten. Jizchak dient somit auch als Vorbild für die Verbindung zum Land Israel. Man könnte ihn gar als den ersten Zionisten betrachten.

Der zweite Unterschied betrifft das Familienleben der Patriarchen. Anders als Awraham und Jakow heiratet Jizchak nur eine Frau und hat nur mit ihr Kinder. Riwka ist viele Jahre unfruchtbar, doch Jizchak nimmt sich keine Zweitfrau, um mit ihr Kinder zu zeugen. Vielmehr wendet er sich an den Ewigen und betet für seine Frau – die daraufhin Zwillinge bekommt.

Jizchaks Zuneigung und Loyalität gegenüber seiner Frau sind bewundernswert – vor allem, da es für Männer damals üblich war, mehrere Frauen zu heiraten, um die Nachkommenschaft zu vergrößern.

Jizchak ist ein Beispiel dafür, dass man als Paar auch schwierige Zeiten zusammen durchsteht und sich trotz aller Herausforderungen nicht von seinem Partner abwendet. Jizchak und Riwka haben also offenbar eine ideale Ehe geführt.

Der dritte Unterschied zwischen Jizchak und den beiden anderen Patriarchen betrifft seinen Namen. Im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Sohn muss Jizchak seinen Namen nicht ändern. Während Awram zu Awraham und Jakow zu Israel wird, bleibt Jizchak sein Leben lang Jizchak. Denn der Ewige hatte Awraham befohlen, ihn so zu nennen.

Die Namensänderungen der beiden Patriarchen symbolisieren wichtige Übergänge in ihrem Leben. Dass Jizchak seinen Namen nicht ändern musste, deutet darauf hin, dass sein Charakter stabil war. Im Gegensatz zu Awraham und Jakow, die Veränderungen durchmachen mussten, die sie zu denjenigen Menschen machten, die sie am Ende waren, wurde Jizchak ein solcher Wandel nicht abverlangt. Sein Wesen und seine Grundzüge blieben während seines gesamten Lebens gleich.

Unterschiede

Welche Schlussfolgerung lässt sich aus den drei Unterschieden zwischen Jizchak und seinem Vater Awraham sowie seinem Sohn Jakow ziehen? Jakow und Awraham sind Beispiele für das alltägliche Leben, sie charakterisieren die Realität. Sie wandern von Ort zu Ort, von einem Land ins nächste, ohne eines dieser Länder ihr Zuhause zu nennen. Sie müssen sich immer wieder neu erfinden und Schwierigkeiten überwinden. Awraham und Jakow sind Vertreter unserer Welt, sie stehen für unseren Alltag und unsere Herausforderungen, mit denen wir als Menschen jeden Tag konfrontiert sind.

Jizchak hingegen repräsentiert eine ideale, eine messianische Welt, nach der wir streben. Jizchak hat ein Zuhause, er ist sich selbst treu und muss sich nicht anpassen oder neu erfinden. Er lebt in einer Welt, die ideal ist und – im Gegensatz zur Welt seines Vater und seines Sohnes – ihn nicht vor Herausforderungen stellt.

Mit der Lebensgeschichte von Jizchak und im Kontrast zu dem, was sein Vater und sein Sohn durchleben mussten, zeigt uns die Tora, wie das Leben im Idealfall aussehen soll und wie der Tag aussehen wird, an dem alle Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, bewältigt sind. Jizchaks Leben ist einzigartig, weil es nicht der rauen Realität der Zeit der Patriarchen entspricht. Es ist ein Leben, das sich jeder von uns wünscht – und das doch für die meisten unerreichbar bleibt.

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 01.12.2016.

06.12.2019 Artikelarchiv >>
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