hauptmotiv

LECH LECHA

Gottes Segen - Awrahams Segen

Auslegung von Rabbiner Moshe Navon

Am Anfang des heutigen Wochenabschnitts (1. Buch Mose/ Bereschit, Kapitel 12) lesen wir folgende Worte: "Und der Ewige sprach zu Awram: Gehe aus deinem Lande und aus deinem Geburtsorte und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Und ich werde segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den werde ich verwünschen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden."

Der Ausdruck „We-heje Bracha“ bedeutet, dass Awram selbst, seine Persönlichkeit dazu berufen ist, der Segen des Heiligen, gesegnet sei Er, zu werden. Denn Gott kann man nicht beschreiben und Ihn als etwas uns Bekanntes darstellen. Jeder Atheist glaubt nicht an irgendeinen Gott. Jedoch, da wir gemäß der Tora nichts Bestimmtes über Gott sagen können, so erreicht der Unglaube des Atheisten nicht das Unfassbare. Aber der unfassbare Gott erreicht uns auf irgendeine Art und Weise. In unserem Wochenabschnitt erreicht Er uns durch Awraham und seinen persönlichen Segen. Man kann das folgendes darstellen: Gottes Gegenwart, Schechina , steigt zu uns herab aus Seiner Unfassbarkeit heraus, durch Tausende Generationen, von Awraham bis zu uns wie auf den Stufen einer endlosen Leiter. Er steigt zu uns hinunter auf Tausenden Stufen ab, aber auf die letzte Stufe kommt Er nicht. Auf diese Stufe können wir Ihm selbst entgegen aufsteigen: „Und ich werde segnen, die dich segnen“. Wenn wir Awraham und seine Nachkommen mit Segen empfangen, dann kommt der Segen des Ewigen auf uns und öffnet uns die Quelle unseres Lebens.
Wenn wir jedoch zu ängstlich sind, auf diese Stufe, die für uns persönlich geeignet ist, zu steigen, um Awraham, einen wandernden Menschen, der zu uns kommt, mit dem Segen zu empfangen, bleiben die Quellen unseres Lebens für uns unbekannt.
Heute gibt es viele Streitigkeiten, was das jüdische Volk ist: Eine religiöse Gemeinschaft, eine nationale Gemeinschaft oder beides oder weder das eine noch das andere. Der heutige Tora-Abschnitt antwortet auf diese Fragen sehr einfach und sehr konkret: Wenn du Awraham mit Freude und mit Segen empfängst, kannst du zu seinen gesegneten Nachkommen gehören.
Aber was eigentlich bedeutet: ein Segen zu sein?
"Und der Ewige sprach zu Abram: … Ich will dich segnen, … und du sollst ein Segen sein! Und ich will segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den werde ich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Familien der Erde! (Bereschit 12, 1-3).
Das Wort Segen ברכה – Beracha - hat eine zusätzliche Konnotation auf Hebräisch, weil es ähnliche Wurzeln mit dem Verb הבריך – Hiwrich - hat! Dieser Verb bedeutet folgendes: „Pflanzen durch einen Ableger vermehren“,  d.h. Gottes Gegenwart, die Schechina, vermehrt sich durch Awraham und seine Nachkommen in allen Familien der Erde: von Mensch zu Mensch!
„Wer selbst gesegnet wurde, der kann nicht anders, als diesen Segen weitergeben, ja, er muss dort, wo er ist, ein Segen sein. Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden. Dieses Unmögliche ist der Segen Gottes.“ (Dietrich Bonhoeffer)
Das Unmögliche steigt von Mensch zu Mensch ab! Von Awraham zu dem, der Awraham mit Segen trifft. Aber was passiert, wenn jemand Awraham und seine Nachkommen mit Fluch statt Segen trifft? Ist es möglich, ein Segen Gottes für die Menschen zu sein, die uns hassen und verfluchen? In diesem Fall kommt Gottes Segen zu Gott zurück und mit diesem Segen kommt auch Awraham und sein gesegneter Nachkomme zu Gott zurück, auf diese Weise verwurzeln sie sich noch tiefer in der Gottes Ewigkeit: Awracham steigt zu Gott auf. Wie oben erklärt ist: Das Wort Segen hat eine zusätzliche Konnotation auf Hebräisch: „Pflanzen durch einen Ableger vermehren!“ Die Thora gibt uns einen Hinweis:
„Und Gott, euer Gott, verwandelte für euch den Fluch in einen Segen“ (5. Buch Mose/ Dewarim 23, 6). Es geht um den fremden Propheten Bileam, der Sohn Beors. Er sollte unsere Vorväter verfluchen, damit das fremde Volk uns vernichten könnte, aber Gott hat diesen vergifteten Fluch in einen Segen für das Volk Israel verwandelt.

Die Rabbinerin Regina Jonas hat diese Thorageschichte im Konzentrationslager Theresienstadt mit der Anspielung auf  den Awraham-Segen folgendermaßen kommentiert:
Rabbinerin Regina Jonas: "(Gott sagt zu Bileam): 'Du sollst das Volk nicht verfluchen, denn es ist gesegnet.' (4. Buch Mose/ Bemidbar 22, 12) Unser jüdisches Volk ist von G-tt in die Geschichte gesandt worden als ein 'gesegnetes'. Von G-tt 'gesegnet' sein heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden. Demut vor G-tt, selbstlose hingebungsvolle Liebe zu seinen Geschöpfen erhalten die Welt. Diese Grundpfeiler der Welt zu errichten, war und ist Israels Aufgabe. – Mann und Frau, Frau und Mann haben diese Pflicht in gleicher jüdischer Treue übernommen. Diesem Ideal dient auch unsere ernste prüfungsreiche Theresienstädter Arbeit. Diener Gottes zu sein und als solche rücken wir aus irdischer in ewige Sphären. - Möge all unsere Arbeit, die wir uns bemühten als Diener Gottes zu leisten, zum Segen für Israels Zukunft sein, und die der Menschheit…"
Gottes Ewigkeit lässt sich vergleichen mit einem Herz, das Blut ausschickt und es kommt wieder zum Herzen zurück. So kommt auch Gottes Mensch, Gottes Segen zu Gott zurück, um mit vermehrter Kraft zurück zu Menschen zu kommen. „Diener Gottes zu sein und als solche rücken wir aus irdische in ewige Sphären… zum Segen für Israels Zukunft sein, und die der Menschheit…“
Was in der Schoa unerreichbar und Zukunft für Regina Jonas und ihre Mitstreiter war, ist jetzt unsere Gegenwart und unsere Verantwortung! Wenn wir die antijüdischen Parolen, die auf deutschen Straßen noch einmal geschrien wurden, hören, hören wir jetzt auch die ewige Stimme unserer Väter und Mütter, die diesen Hass schon überwunden hatten: „Von G-tt ‚gesegnet’ sein heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden.“ Deshalb möchte ich uns noch daran erinnern, was während der deutschen Hitlerzeit Martin Buber den erschreckten Juden geschrieben hat:
„…ich sage es mit Furcht und Zittern. Zu 'Israel' gehört geschichtlich dieses Schicksal, so in das Schicksal der Völker verflochten und so aus ihm entlassen zu sein… Aber zu Israel gehört auch die Gnade, je in solcher Not den Urbund zu erneuern, durch den es entstanden ist.“ („Der jüdische Mensch von heute“)
Leo Baeck beschreibt seine Erfahrung in KZ wie folgt: „That was the mental struggle everyone had to keep up, to see in himself and in his fellow man something more than a transport number. It was the fight for the name, one's own und the other's, the fight for individuality, the secret being.“
Nur auf diese Art und Weise kannst Du, Israel, Deinen Urbund mit Gott erneuern und Gott, Dein Gott, wird für Dich den schrecklichen Fluch in ewigen Segen verwandeln.
Das Wasser eines ganzen Ozeans kann ein Schiff nicht zum Sinken bringen, solange es nicht in sein Inneres eindringt. Die äußerliche Welle von Hass kann Dich nicht umfallen lassen, wenn du Gottes Segen in deinem Inneren für alle Familien in der Welt trägst.
(2015)

03.11.2023 Artikelarchiv >>
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