hauptmotiv

Schabbat Sachor

Kurz vor Purim wenden wir uns Amalek zu

Auslegung von Rabbiner Henry G. Brandt s''l

Bald feiern wir wieder Purim – das Fest der Lose – welches an die im biblischen Buch Esther beschriebenen Ereignisse erinnert. Dort wird von einem versuchten Anschlag gegen die Juden des persischen Reiches erzählt, der nur in letzter Minute durch die mutige Intervention der Königin Esther abgewendet werden konnte. Der Bösewicht der Geschichte, ein erster Minister namens Haman, empfing seine gerechte Strafe und fiel selbst in die Grube, die er einem anderen gegraben hatte; das heiß in diesem Falle, er wurde auf demselben Galgen aufgehängt, an welchen er Mordechai – den Onkel und Pflegevater Esthers sowie Wohltäter dem König gegenüber – hängen wollte.

Wahrscheinlich ist vielen von Ihnen, verehrte Leser, bekannt, dass Purim als ein fröhliches Fest freudig und in einer ausgelassenen Karnevalsatmosphäre begangen wird. Doch ist kaum zu übersehen, dass es im Grunde genommen Anlass zu ernsten Betrachtungen gibt, denn die aufgeworfene Problematik ist universell und immerwährend. Obwohl die Ereignisse der damaligen Zeit ein gutes Ende fanden und wir uns heute noch ob der Rettung der jüdischen Gemeinde jener Jahre freuen und ihr Dank zollen, ist die Geschichte Esthers beispielhaft für Vorkommnisse, die sich vielerorts und zu allen Zeiten wiederholen. Deshalb die andauernde Bedeutung der Frage: Gegen wen verpflichtet uns die Ethik der Bibel zu ringen, gegen den Bösen oder gegen das Böse. Oder sind die beiden identisch?

Während der öffentlichen Vorlesung des Buches Esther kann man einen außergewöhnlichen – in einer Synagoge wohl unerwarteten – Brauch beobachten. Immer, wenn der Name Hamans genannt wird, bricht ein Riesengetöse in der Gemeinde aus. Besonders die Kinder lasse einen ohrenbetäubenden Radau los: mit Ratschen, topfdeckeln, Pfeifen, oder, mangels eines Instruments, durch Füßestampfen auf den Boden. Da kommt es auch nicht selten vor, dass man grauhaarige Opas dabei erwischt lustig mitzumischen. Nun ist es ein Irrtum anzunehmen, es handele sich hier um einen Ausdruck des Unmuts gegen den Verschwörer Haman. Noch weniger ist es ein Frohlocken über seinen Fall und sein böses Ende am Galgen, denn steht es nicht in dem Buch der Sprüche geschrieben: „Frohlocke nicht ob dem Fall deines Feindes“?

Nein, dieser Brauch hat einen ganz anderen Ursprung. Im 25. Kapitel des 5. Moses-Buch lesen wir folgenden Absatz: „Gedenke, was dir Amalek getan auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zogt. Wie er dir auf dem Weg entgegentrat und alle deine ermatteten Nachzügler abfing, während du matt und müde warst und er Gott nicht fürchtete. Und wenn nun der Ewige, dein Gott, dir Ruhe gewährt vor allen deinen Feinden ringsum, in dem Lande, das der Ewige, dein Gott, dir als Erbe zu Besitz gibt, dann sollst du das Andenken Amaleks auslöschen unter dem Himmel – vergiss es nicht!“ Nun wird Haman im Buche Esther als ein Aggagite benannt, und Aggag war, nach dem Buche Samuel, ein König der Amalekiter: Man kam deshalb zum Schluss, Haman sei ein Nachkomme der ehemaligen Amalekiter gewesen und deshalb trifft auf ihn das Gebot zu: „Du sollst sein Andenken auslöschen“, was hier durch die Übertönung seines Namens geschieht. Wir kennen andere Traditionen, laut welchen der Name Hamans auf ein Stückchen Papier geschrieben wird, und jedes Mal, wenn er genannt wird, wird die Inschrift ausradiert. Eine andere Tradition lässt seinen Namen auf zwei Steine schreiben. Diese werden dann aufeinandergeschlagen, bis die Schrift abgewetzt und verschwunden ist.

Das Böse und der Böse stehen in der Beziehung, dass der Mensch Träger und Instrument der sündigen Triebe ist. Das Böse zeigt sich durch sein Tun und so erscheinen der Böse und das Böse nach außen hin identisch. Der Unterschied liegt darin, dass es dem Menschen gegeben ist, sich vom Bösen loszusagen. Indem er sich ihm als Instrument verweigert, beraubt er dem Bösen die Kraft
wirksam zu werden und damit seiner Existenz in der Praxis. Da, wo folkloristisches Brauchtum die Erinnerung an amalekitisches Verhalten durch Lärm und Radau verdecken will, hat der Mensch in der Wirklichkeit seines tagtäglichen Lebens die Möglichkeit des stilleren, aber wirksameren Weges das Böse zu besiegen: Er kann sich von ihm abwenden. Denn so steht es im Buche des Propheten Ezekiel geschrieben: „... so spricht der Gott, der Herr, ich habe nicht Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daran, dass auch der Gottlose von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe.“

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung des Radio Berlin-Brandenburg (rbb), dort gesendet am 18.03.2016.

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