hauptmotiv

LECH LECHA

Politische Dimension

Auslegung von Rabbiner Henry G. Brandt

Eines schönen Tages – ich stelle mir vor es mag vielleicht in den Stunden vor der Abenddämmerung gewesen sein, da stand Abraham auf einer der Bergkuppen Samariens und blickte über die herrliche Landschaft, die sich seinen Augen darbot. An dieser Stelle und in jenem Augenblick vernahm er die Stimme Gottes. Die Worte, die Abraham damals hörte, sind in der Bibel niedergeschrieben und ihr Nachhall ist heute noch so klar zu vernehmen wie damals. Gott sprach zu Abraham: „Hebe deine Augen auf und schaue von der Stätte, da du stehst, gegen Mitternacht und gegen Mittag, gegen Morgen und gegen Abend. Denn das ganze Land, das du siehst – dir will ich es geben und deinen Nachkommen für ewige Zeiten. Und deine Nachkommen werde ich mehren wie den Staub der Erde, sodass, wenn man den Staub der Erde zählen kann, man auch deine Nachkommen wird zählen können. Auf, durchziehe das Land in die Länge und in die Breite; denn dir will ich es geben.“

Man mag sich fragen, was Abraham beim Hören dieser atemberaubenden Versprechung gedacht haben mag. Immer wieder bewies er ein gewisses Maß an Sensibilität für die Belange Anderer. Das zeigte sich zum Beispiel in seinem beharrlichen Einstehen für die sündigen Einwohner von Sodom und Gomorrah. Als er dort auf der Bergkuppe von der Verheißung des Landes für sich und seine Nachkommen hörte, musste er sich gefragt haben, wie eine Verbindung hergestellt werden könnte, zwischen seinem Anspruch und der Gegenwart des Landes. In dem Maße, in dem die Verheißung wirksam würde, würde sie auch eine politische Dimension annehmen. Diese logische Feststellung zeigt sich deutlich im Bericht der Landnahme durch die Kinder Israel zu Zeiten Joschuas. Die Heilsgeschichte hat immer auch eine politische Dimension. Sie berührt, oft einschneidend und nachhaltig, nicht nur das Schicksal der biblischen Helden und Bösewichte, sondern auch das Schicksal ihrer Zeitgenossen.

Der Bibel mangelt  es nicht an dem Hinweis, dass die damaligen Stämme Kanaans im Lande ersetzt werden würden und warum dies zu einem späteren Zeitpunkt geschehen sollte, denn, so heißt es in der Bibel: „denn noch ist nicht voll die Schuld der Amoriter.“ An einer anderen Stelle spricht es die Bibel noch deutlicher aus, was hier zunächst nur angedeutet wird, nämlich, dass die Israeliten das Land nicht wegen ihrer eigenen Rechtschaffenheit erhalten, sondern wegen der Ruchlosigkeit der bisherigen Bewohner.

Der Gedanke drängt sich förmlich auf, dass das biblisches Wort auch aus der gegenwärtigen Situation des Landes Israel nicht wegzudenken ist und auch nicht weggedacht werden muss. Keinem Menschen wird die Einsicht in das göttliche Wirken gewährt, sodass er für sich und seine Position den  Willen Gottes beanspruchen könnte. Nur eins kann man wohl begründet formulieren: der Anspruch auf das Land und schließlich dessen Gewährung hat direkt mit morali-scher Haltung und dem Gehorsam den biblischen Lehren gegenüber zu tun. Eins ist klar – bedingungslos sind diese nicht. Das Ringen um das Land wird nicht unter Ausschluss dieser Aspekte entschieden werden. Und diese Aspekte beinhalten das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Nächstenliebe.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigkung des Norddeutschen Rundfunkts, dort gesendet am 23. Oktober 2015.

22.10.2021 Artikelarchiv >>
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