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WAJERA

Früchte der Selbstlosigkeit

Gastfreundschaft und andere gute Taten werden belohnt – in der Tora gibt es mehrere Beispiele dafür

Auslegung von Rabbiner Almekias-Siegl

Dem Patriarchen Awraham kommt im Judentum eine besondere Bedeutung zu. Er gilt als Säule der Welt, weil ihm von Gott das Geheimnis des Lebens offenbart wurde. Es besteht in der Erkenntnis der göttlichen Gnade und Gunst. Awraham liebte diese Eigenschaften des Ewigen und praktizierte sie auch selbst.

Theologisch grundlegend ist hier das Wort aus dem 1. Buch Mose: »Denn im Ebenbild hat Er den Menschen geschaffen« (9,6). Der Schöpfer der Welt hat aus lauter selbstloser Güte die Welt und den Menschen ins Leben gerufen – ohne eine Gegenleistung von seiner Schöpfung dafür zu erwarten. Allerdings hat er durch die Erschaffung des Menschen zu seinem Ebenbild diesem die Fähigkeit und die Kraft beigelegt, es seinem Schöpfer gleichzutun.

Güte

Intimer mit Gott als der Mensch ist sonst kein Geschöpf. Ihm ist das Geheimnis des Lebens anvertraut: die selbstlose Güte, mit der Gott die Welt baut und erhält. Sie legt sich wie eine Klammer um die ganze Tora. Diese beginnt mit dem Erweis von Gunst und Gnade, einem göttlichen zinslosen Darlehen, wenn es im 1. Buch Mose heißt, dass Gott Adam und Eva bekleidete (3,21). Und sie schließt auch mit dem Erweis von Gottes gnädiger Zuwendung, wenn im 5. Buch Mose berichtet wird, Gott selbst habe Mosche im Tal von Moab beerdigt (34,6).

Aber zurück zu Awraham. In unserem Abschnitt wird erzählt, dass ihm und seiner hochbetagten, kinderlos gebliebenen Frau Sara drei Engel in Menschengestalt erscheinen, die den beiden den lang ersehnten Nachwuchs ankündigen.

Verheißung

In diesem Szenario entdecken wir eine neue Eigenschaft Awrahams – und zwar die Eigenschaft der Gastfreundschaft. In diesem Sinn nehmen er und Sara die unerwarteten Gäste bei sich auf. Sie reagieren spontan, unkompliziert und sehr schnell, damit sich die Fremden bei ihnen wohlfühlen. Bevor die drei Engel Awrahams Haus wieder verlassen, wiederholen sie die Verheißung, dass Sara in einem Jahr ein Kind bekommen werde (1. Buch Mose 18,10).

Daraufhin wenden sie sich in Richtung Sodom. Nachdem sie bei Awrahams Neffen Lot wiederum freundliche Aufnahme gefunden haben, wird dessen Haus von feindseligen Männern umstellt, die die Herausgabe der Fremden fordern, um ihnen Gewalt anzutun.
Am Ende werden Sodom und Gomorra so nachhaltig vernichtet, dass dort nichts Grünes mehr gedeiht (5. Buch Mose 29,22). Die Botschaft der Tora ist klar: Freundlichkeit und Gnade fördern das Leben. Gewalt und Brutalität führen zur Vernichtung.

Witwe

In den Büchern der Könige wird diese Lehre der Tora aufgegriffen und fortgeschrieben. Zur Zeit des in Israel regierenden König Ahab schickt Gott den Propheten Elijahu während der Dürrezeit nach Zarfata, in die Nähe Sidons an der libanesischen Grenze. Dort trifft er auf eine verarmte Witwe. Er bittet sie um Wasser und einen Bissen Brot.

Die Frau antwortet aus verzweifeltem Herzen, dass sie nichts außer ein wenig Mehl und Öl habe, das für sie und ihren Sohn bestimmt sei. Elijahu fordert sie auf, sich nicht zu ängstigten. Sie solle zuerst ihm etwas Gebackenes zubereiten, und danach auch für ihren Sohn und sich etwas backen. Die Witwe tut, wie Elijahu ihr aufgetragen hatte. Und wie der Herr vorher durch den Propheten versprochen hatte, geschieht es: Tag um Tag haben alle drei genug zu essen.

Fruchtbarkeit

Wenig später erkrankt der Sohn der Hauswirtin und stirbt. Durch ein eindringliches, ja vorwurfsvolles Gebet jedoch erweckt Elijahu die Gunst Gottes. Der Schöpfer lässt die Seele in das Kind zurück- kehren, der Prophet kann der Mutter den Sohn wiedergeben (1. Könige 17, 11–17). Im Fall unserer Patriarchin Sara lernen wir, dass umstandslos praktizierte Gastfreundschaft und Gunst gegenüber Gottes Boten Unfruchtbarkeit in Fruchtbarkeit verwandelt, neues Leben schenkt. Und am Beispiel der Frau von Zarfata sehen wir, dass die dem Propheten zugewandte Gunst am Ende sogar Leben aus dem Tode erweckt.

Von einem weiteren Fall hören wir im 2. Buch der Könige: Eine Frau aus Schunem nötigt Elischa, er möge bei ihr einkehren und essen. Durch ihre fortdauernde Gastfreundschaft erfährt der Prophet von ihrer Kinderlosigkeit. Daraufhin verheißt er ihr – wie bei Sara – die Geburt eines Sohnes. Später erkrankt auch dieser Sohn – wie bei der Witwe – und stirbt. Elischa, von seiner ehemaligen Gastwirtin zur Hilfe gerufen, erweckt den Sohn wieder zum Leben.

Unsere Weisen betonen, dass nur Gott alleine drei besondere Schlüssel in seinen Händen hält: den des Regens, der Geburt und der Wiederbelebung der Toten. Der Gebrauch dieser Schlüssel ermöglicht Gott Schöpfungstaten. Demgegenüber hat der Mensch nur die Möglichkeit, bereits vorhandene Materie zu verfeinern und weiterzuentwickeln.

Kraftfeld

Vielleicht sind die angesprochenen biblischen Geschichten ein Hinweis darauf, dass der Mensch doch Einwirkung auf den göttlichen Einsatz der drei Schlüssel nehmen kann, indem er Gnade und Gunst in seinem Umfeld walten lässt. Der Urgrund der Schöpfung ist Gottes selbstlose Güte. Und Menschen wie zum Beispiel Awraham, Sara und die Frau aus Schunem, die sich dieser göttlichen Eigenschaft verschreiben, geraten so in das Kraftfeld der Schöpfung.

Ein klassisches Beispiel für diese Sicht der Dinge illustriert die Geschichte von Ruth. Elimelech, ein reicher Bauer, verlässt die Stadt Bethlehem mit seiner Familie zur Zeit einer Hungersnot. Er hat Angst davor, dass ihn die Armen, die an seine Tür klopfen, ebenfalls arm machen könnten. Die Strafe für sein unsoziales Denken und Handeln folgt ihm auf dem Fuße: Er und seine zwei Söhne sterben. Die zwei Schwiegertöchter und seine Frau Naomi bleiben mittellos zurück.

Doch dann ereignet sich eine positive Wendung in dieser Geschichte. Ruth gewährt ihrer verwitweten Schwiegermutter ein zinsloses Darlehen. Wo doch auch für sie noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, da will sie Naomi im Alter nicht sich selbst überlassen und begleitet sie auf dem schwierigen Weg zurück nach Bethlehem.

Messias

Dort trifft sie auf Boas, einen Verwandten Elimelechs, der ihr zuvorkommend und mit Gunst begegnet, also ebenfalls als ein großzügiger Geber eines zinslosen Darlehens beschrieben wird. Es liegt auf der Hand: Selbstlose Güte und Gunst haben auch in diesem Fall dazu geführt, dass ein durch vorangegangene Brutalität abgestorbener Baum wieder zum Leben erwachte und aufblühte. Durch die Heirat von Ruth und Boas kommt es zur Gründung einer neuen Dynastie. Und durch Gnade erlangte Ruth Gnade und wurde die Urgroßmutter König Davids, aus dessen Nachkommenschaft der Messias kommen soll.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 29.10.2015.


04.01.2019 Artikelarchiv >>
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