MATTOT MASSEJ
Nutzen wir die Zeit
Auslegung von Rabbiner SieversMit dem heutigen Wochenabschnitt beenden wir nicht nur das 4. Buch Moses, BeMidbar, wir erreichen auch gleichsam das Ziel der vierzigjährigen Wüstenwanderung, die Grenze zu Eretz Israel. Denn das 5. Buch Moses, mit dessen Lesung wir nächste Woche beginnen, ist Moses Abschiedsansprache an das Volk, bevor dieses Eretz Israel betritt.
Die vierzig Jahre der Wanderschaft, zu denen das Volk verurteilt wurde, werden in zweieinhalb biblischen Büchern behandelt. Wenn man etwas genauer hinschaut, handeln diese Bücher dann auch nur von Ereignissen im ersten und letzten Jahr. Was ist mit den verbleibenden 38 Jahren?
Hinzukommt noch, dass wir nur von den schlechten Ereignissen erfahren.
Rabbiner Dunner vergleicht diese Situation mit folgender Geschichte:
Ein König gab für seinen Hof eine große Party. Nach fortgeschrittener Stunde und einigen Bechern Wein verlangte er von seinen Ministern, ihn öffentlich zu loben. Die Minister kamen dieser Bitte natürlich nach.
Der erste Minister lobte des Königs Weisheit. Der Zweite rühmte seine Macht. Des Königs Reichtum pries der dritte Minister. Der vierte Minister lobte seine Gnade und seine Herzensgüte. Der fünfte Minister jedoch verkündete vor dem ganzen Hof, dass der König eine krumme Nase hat.
Wie nicht anders zu erwarten, war der König über diese letzte Äußerung alles andere als erfreut und er verurteilte den fünften Minister zum Tode.
Kurz vor der Hinrichtung jedoch befragt er den zum Tode Verurteilten ob seiner Motivation, diese Antwort zu geben, obwohl er genau wissen musste, was ihn erwarten würde.
Jener antwortete, dass er mit seiner Aussage den König nicht beschämen, sondern eher ehren wollte. Denn bei jeder der Aussagen der ersten vier Minister hätte man auch schließen können, dass der König nur die genannte Eigenschaft besitzen würde, die anderen jedoch nicht. Wenn also der erste Minister des Königs Weisheit herausstellt, man auch meinen könnte, dass der König machtlos sei.
Um diesen Eindruck der Vorredner entgegenzutreten, habe er nur die krumme Nase erwähnt, die ja keine wirkliche Eigenschaft ist, um anzudeuten, dass der König alle anderen Eigenschaften in sich vereint.
Die Aussage in Bezug auf unsere Parascha ist, so Rabbiner Dunner, dass gerade die schlechten Taten betont werden, um anzuzeigen, dass eben nur diese schlechten Taten vom Volk verübt wurden und keine anderen mehr.
So ist es verständlich, dass die schlechten Taten aufgeschrieben werden. Es sind doch gerade eben diese Taten, die uns wahrscheinlich am besten wachsen lassen. Da wir Menschen nun einmal mit Fehlern behaftet sind, und wir dies auch wissen, ist es eine große Hilfe, durch die Kenntnis unserer Fehler und deren Verbesserung zu wachsen.
Dies ist die Größe unserer Tradition, selbst die größten Helden unserer Tradition in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu zeigen. Auch dieses ist eine Hilfe für unsere Weiterentwicklung. Wenn nur Positives berichtet würden, würde man sich sagen, dass alles so perfekt ist, dass es für uns normalsterbliche Menschen nicht zu erreichen wäre.
Auch in unserer Zeit, den drei Wochen zwischen dem 17. Tammuz und dem 9. Aw, ist es angebracht, sich mit unser aller Fehlverhalten zu beschäftigen. War doch die Zerstörung des Tempels nicht nur Zufall, sondern hatte nach Meinung der Rabbiner auch etwas mit unserem eigenen Verhalten als Volk zu tun.
Nutzen wir also diese Zeit, die uns noch bis zum 9. Aw bleibt.
Schabbat Schalom
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Norddeutschen Rundfunks, dort gesendet am 29.7.2011.
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