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SCHMINI

Respekt vor den Kaschrut

Auslegung von Rabbiner Wolff

Die Vorlesung in dieser Woche, besonders aus dem 11. Kapitel des dritten Buches Moses, enthält eine der Grundlagen des jüdischen Lebens: Die Speisegesetze. Da steht es klipp und klar: „Von den großen Landtieren sind euch alle erlaubt, die deutlich gespaltene Klauen haben und zugleich ihre Nahrung wiederkäuen.“
Warum denn gerade diese Tiere, warum das Fleisch von einem Schaf oder einer Kuh, nicht aber das vom Pferd oder vom Schwein. Machen gespaltene Füße ein Tier gesünder als ungespaltene – sowie meine Füße ungespalten sind. Und hat Wiederkäuen irgendetwas mit Gesundheit zu tun? Auf diese Fragen bleibt uns die Torah eine Antwort schuldig. Sie gibt keine Erklärung für ihre Speisegebote. Der erste jüdische Gelehrte, der einen hygienischen Grund für diese Gesetze angab, war der große Moses Maimonides, der im 12. Jahrhundert hauptsächlich in Ägypten, in der Nähe von Kairo lebte. Er war im täglichen Beruf Mediziner. So lag es auf der Hand, dass er nach einem gesundheitlichen Grund suchte. Aber einen Beweis hat er nicht vorgelegt. Und für die nächsten siebenhundert Jahre ist seine Erklärung von keinem anderen namhaften Rabbiner angenommen worden.
Das zweite Mal in der jüdischen Geschichte, dass behauptet wurde, die Speisegesetze hätten einen hygienischen Grund, war im 19. Jahrhundert. Das war das Zeitalter der Emanzipation, als die Juden in Deutschland und Westeuropa aus ihren Ghettos ausziehen durften und versuchten, sich der allgemeinen Gesellschaft anzupassen. So behaupteten manche Rabbiner und viele Laien, dass die Speisegesetze nicht mehr nötig wären, denn die Hygiene in ihrer Umwelt hatte sich ja radikal verbessert. Also Behauptungen gab es, aber Beweise, dass die Speisegesetze irgendetwas mit Gesundheit oder Hygiene zu tun hatten, bleiben Rabbiner und sonstige Gelehrte uns bis heute schuldig.
Die Gesetze sind aber noch etwas komplizierter als diejenigen, die morgen vorgelesen werden. Denn ehe Fleisch als koscher – also dem Gesetz entsprechend - erklärt wird, muss alles Blut entfernt sein. Dazu kommt dann auch noch die Vorschrift, dass Milch und Milchprodukte und Fleisch nicht zur selben Zeit verzehrt werden dürfen. Eine Begründung dafür gibt die Torah auch nicht.
Trotzdem muss ich Ihnen gestehen, dass das Halten und Beobachten von diesen Speisegesetzen für mich persönlich niemals ein Problem war. Ich stamme aus einer orthodoxen Berliner Familie, in der die Kaschrut Vorschriften als selbstverständlich galten, auch ohne biblische oder rabbinische Begründung – eben weil sie Torahvorschriften waren. Als Erwachsener hatte ich und habe ich bis heute kein Problem mit ihnen, denn ich bin schon seit 55 Jahren Vegetarier – ursprünglich auf ärztliche Verordnung, um ein Nierenleiden zu beseitigen. Ich esse nichts vom Tier außer gelegentlich das Weiße vom Ei oder eine Forelle oder Fischsuppe. Trotzdem meine ich, dass das Einhalten der Kaschrut Gesetze, und ganz besonders von erlaubten und verbotenen Tieren, wichtiger ist für Juden als je zuvor. Denn sie sind nun schon ein wesentlicher Bestandteil des jüdischen Erbes und des jüdischen Lebens seit bald dreitausend Jahren. Das alleine gibt mir kolossalen Respekt vor diesen Vorschriften, und auch einen gewissen Stolz auf sie. Warum sollten wir denn ein so altes Erbe abschaffen? Welches andere Volk auf Erden, welche andere Glaubensgemeinschaft hat einen Brauch ganze dreitausend Jahre lang erhalten?
Meines Erachtens sind sie heute wichtiger als je zuvor. Denn sie stärken unsere jüdische Identität in einem Zeitalter, wo die Freiheit in unserer westlichen, demokratischen Gesellschaft dazu beitragen kann, diese Identität zu schwächen. Jedes Mal wenn ich im Supermarkt Kekse kaufen will, muss ich erst einmal auf die Verpackung schauen, um festzustellen, ob sie wohl tierisches Fett enthalten. Und wenn sie solches Fett enthalten, dann lege ich sie sofort wieder zurück ins Regal. Also jedes Mal, wenn ich in den Supermarkt gehe, bin ich mir besonders bewusst, dass ich Jude bin. Denn an diese Regeln halte ich mich eben NUR, weil ich Jude bin. So stärken sie meine jüdische Identität. Ich betrachte sie als einen Panzer, der meine jüdische Identität stärkt und beschützt. In einem Zeitalter, wo jüdische Identität bei vielen Juden, besonders in der freien, demokratischen Welt, so schwach geworden ist, dass Tausende von unseren Glaubensgenossen aus der jüdischen Gemeinschaft verschwinden, sind diese Regeln der erlaubten und verbotenen Speisen nicht nur lebenswichtig. Sie sind heute für uns
ü b e r l e b e n s w i c h t i g.
Schabbat Schalom.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin Brandenburg, dort gesendet am 21.3.2014.

08.04.2016 Artikelarchiv >>
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