hauptmotiv

WAJIKRA

Danken und Bitten

Seit der Zerstörung des Tempels sind Gebete an die Stelle der Opfer getreten

Auslegung von Rabbiner Almekias-Siegl

Mit dem Abschnitt Wajikra beginnt das gleichnamige dritte Buch der Tora. Hier finden wir
Vorschriften zu den Opferhandlungen, zu Reinheit und Unreinheit und vor allem zum Dienst des
Hohenpriesters an Jom Kippur. Das Buch beinhaltet 247 Gebote, von denen wir heute mehr als die
Hälfte nicht mehr zu erfüllen vermögen. Sie betreffen die vorgeschriebenen Opferungen im Tempel,
die aber seit dessen Zerstörung nicht mehr ausgeführt werden können.
Wie verhält es sich nun mit der Pflicht, diese Mizwot zu erfüllen? Ist sie durch die Zerstörung des
Tempels aufgehoben? Es gibt einen Ersatz für diese Opferhandlungen. Wir lesen in einem
Midrasch: »Rabbi Jizchak fragt: ›Jetzt haben wir keine Propheten, keine Priester, kein Opfer und
keinen Altar – wer sühnt für uns, nachdem unser Tempel zerstört wurde? In unserer Hand ist nichts
übrig geblieben als das Gebet‹« (Tanchuma, Wajischlach 9).
Und im Talmud lesen wir: »Jeder, der die Morgentoilette hinter sich hat, seine Hände wäscht,
Tefillin legt und das Schma sagt, dem gelte es, als ob er einen Altar gebaut und ein Opfer darauf
dargebracht hätte« (Brachot 15,1). Ein paar Seiten weiter ist zu lesen: »Gebete sind anstelle der
ewigen Opferungen eingerichtet« (Brachot 26,2).
Ist damit allen Opfervorschriften Genüge getan? Der Midrasch Tanchuma betont, dass es reicht,
wenn wir beim Morgengebet den Abschnitt von den Opferungen lesen, um unsere ganze Pflicht zu
erfüllen. Anders verhält es sich mit demjenigen, der vergessen hat, Tefillin zu legen. Er kann seiner
Pflicht gegenüber den Opfervorschriften nicht einfach dadurch genügen, dass er die entsprechenden
Abschnitte liest.

Pflicht

Maimonides, der Rambam (1138–1204), kommt zu zwei grundlegenden Annahmen: Das
Gebet ist ein Gebot aus der Tora und eine täglich zu befolgende Mizwa. Auch geht er davon aus,
dass es die Pflicht zum Gebet schon gab, ehe die Gebete selbst existierten. Seiner Meinung nach
haben Esra und sein Haus die ersten Gebete an der Anzahl der Opferungen ausgerichtet. So
entsprechen zwei tägliche Gebete den zwei ewigen Opferhandlungen. Und an den Tagen, an denen
ein Ersatzopfer (Korban mussaf) vorgesehen war, fügt man ein drittes Gebet ein.
Ebenso hat nach Überzeugung des Rambam auch das Abendgebet seinen Ursprung in den Opfern.
»Und sie entschieden, dass man täglich ein Abendgebet spricht, denn die Organe von Tieren der
ewigen Opferungen verrauchen während der ganzen Nacht« – so wie im 3. Buch Mose 6,2
geschrieben steht: »Dies sind die Vorschriften für das Ganzopfer. Nachdem es auf die Feuerstätte
auf den Altar gekommen ist, bleibe es dort die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen; auch das
Feuer des Altars bleibe auf ihm (dem Altar) brennen.«
Auch wenn der Rambam das Gebet am Abend nicht wie das Morgen- und Nachmittagsgebet zu den
Pflichtgebeten zählt, hat sich im Laufe der Zeit im Volk Israel doch die Tradition herausgebildet,
auch das Abendgebet zu halten. Was den Ursprung des Gebets angeht, weicht Ramban, Rabbi
Mosche ben Nachman (1194–1270), von der Meinung des Rambam ab. Er kann nicht erkennen,
dass die Pflicht zum Gebet bereits in der Tora verankert ist. Er sieht in ihm ein Maß der Gnade
unseres Schöpfers, seine Bereitschaft, uns zu hören, wenn wir zu ihm beten.
Im Babylonischen Talmud finden wir weitere interessante Aussagen zur Entstehung unserer Gebete.
Er führt sie auf unsere Patriarchen zurück. Nachdem Gott Awraham die Bindung seines Sohnes
befohlen hatte, stellte dieser keine Fragen und diskutierte auch nicht mit Gott über den unerwarteten
Befehl. Stattdessen heißt es: »Da stand Awraham des Morgens früh auf« (1. Buch Mose 22,3).
Diese Aussage wird zur Einsetzung des Morgengebets durch Awraham herangezogen. Das
Nachmittagsgebet (Mincha) geht auf Jizchak zurück: »Und Jizchak ging gegen Abend hinaus, um
auf dem Feld zu beten« (24,63). Und auf dessen Sohn Jakow bezieht sich das Abendgebet, wie
geschrieben steht: »So zog Jakow fort ... Unterwegs stieß er auf einen Ort und übernachtete dort«
(28, 10–11).

Urväter

Im Blick auf die Lehrmeinung des Talmuds kann also festgehalten werden, dass schon die
Patriarchen die Gebete eingerichtet haben und sie nicht erst entstanden, als es keine Möglichkeit
mehr gab, im Jerusalemer Tempel zu opfern.
Auch die Psalmen sind ein Beweis dafür, dass das Gebet in biblischer Zeit bekannt und einige Male
am Tag praktiziert wurde: »Abends und morgens und mittags klage und stöhne ich; und er hat
meine Stimme gehört« (Tehillim 55,18). Ebenso finden wir im Buch Daniel (6,11) einen Hinweis
auf das dreimal am Tag praktizierte Gebet.
Selbst Schriften wie die Bücher Judith und Tobit, die außerhalb unserer biblischen Sammlung
stehen, äußern sich zum Thema Gebet. In Judith 9,1 zielt eine Bemerkung auf das Minchagebet ab:
»Und Judith fiel auf ihr Angesicht, als sie betete, und zur selben Zeit brachte man das Abendopfer
im Tempel dar, und Judith schrie mit starker Stimme zu Gott.« Wir lernen von dieser religiösen Frau
aus Samaria, dass wir überall beten können und bei Gott Gehör finden werden. Auch im Buch Tobit
gibt es einen Hinweis zu unserem Thema: »Beten, Fasten und Almosengeben ist besser, als Gold zu
sammeln. Zedaka rettet vom Tod und reinigt von Sünden. Der, der sich erbarmt und Zedaka übt,
wird leben satt« (12, 8–9).

Positionen

Im Judentum repräsentieren Rambam und Ramban zwei zentrale Einstellungen zum
Gebet, die sich bis heute erhalten haben. Rambam steht für die rationale Einstellung, die sich an die
Vorschrift der Tora hält, nach der es Pflicht ist, dreimal täglich zu beten. Ramban repräsentiert die
mystisch spirituelle Einstellung, die wir im Chassidismus wiederfinden. Hier wird die Pflicht zum
Gebet mit der ernsten Absicht und dem Glauben eng verknüpft. Es kommt darauf an, von ganzem
Herzen zu beten und sich in der Not an den Schöpfer zu wenden.
Inzwischen hat das Gebet durch unsere Weisen und deren Nachfolger verschiedene Änderungen
und Entwicklungen erfahren, damit seine Einheit in allen Generationen und überall erhalten bleibt.

25.03.2016 Artikelarchiv >>
Rabbiner & RabbinerinnenStrömungenPositionenBet DinPublikationenLinksImpressum
Bookmark für: Facebook
Home
logo der allgemeinen rabbinerkonferenz

© Allgemeine Rabbinerkonferenz
Meldungen

Pessach 5784 / 2024

Trotz der Ungewissheit

von Rabbinerin Elisa Klapheck

Was ist das Ziel? Der Auszug aus Ägypten bedeutete nicht nur den Weg heraus aus der Sklaverei. Genauso wichtig, ja sogar noch wichtiger war das Ziel – dass es überhaupt ein Ziel gab. Daran scheitern die...

Lesen Sie mehr...

Wie kommt ein Jude in den Himmel?


Paraschat Haschawua

Schabbat Chol ha-Moed

Auslegung von Rabbiner Ronis

Der lange Weg aus der Knechtschaft

Freiheit ist mehr als Abwesenheit von Sklaverei. Gerade heute ist es wichtig, sich daran zu erinnern

Ich erinnere mich noch genau an die Worte meiner Mutter, mit denen sie ein Pessachfest in der damaligen Sowjetunion beschrieben hat: Alles musste streng geheim gehalten werden, und Mazzot durften nur in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erworben werden – offiziell...

26.04.2024   Lesen Sie mehr...