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PEKUDEJ

Ehrlich währt am längsten

Die Tora zeigt jüdischen Gemeinden, wie sie mit Geld und Spenden umgehen sollen

Auslegung von Rabbiner Rothschild

Mit den Jahren finde ich die angeblich langweiligen Toraabschnitte – die Genealogien, Zahlenreihen, Listen – immer interessanter. Alles hat seinen Zweck. Man muss diese Passagen nur mit Lebenserfahrung lesen.

Der Wochenabschnitt Pekudej enthält etwas, das in manchen jüdischen Gemeinden in Deutschland heute leider selten geworden ist. Es geht um genaue und klare, transparente und detaillierte Berechnungen und Finanzberichte. Das Volk hat Geld, Gold, Stoffe, Farben und vieles mehr gespendet, damit eine Kultstätte gebaut werden konnte, mit Säulen und Vorhängen, Schüsseln und Pfannen. Jetzt ist das Werk vollendet, alles wird sorgfältig kontrolliert und gezählt: So viele Schekel wurden für dieses ausgegeben, so viele für jenes.

UNKLARHEIT

Gleichzeitig werden auch die Menschen genau gezählt: 603.550 sind es (2. Buch Moses 38,26). Jeder hat etwas bezahlt – und wird daher gezählt. Doch über wie viele jüdische Gemeinden in Deutschland sind noch immer Gerüchte in Umlauf, sie würden ihre Mitgliederzahlen fälschen? In wie vielen Gemeinden herrscht nach wie vor Unklarheit darüber, wer wählen darf und wer nicht? In wie vielen Gemeinden werden Menschen gar dafür bezahlt, Mitglied zu bleiben?

Eine große Gemeinde in Deutschland feierte kürzlich das widersprüchliche Ergebnis einer Wahl, an der sich lediglich 27 Prozent der Mitglieder beteiligt hatten. Dafür gaben aber in einem Wahllokal ungefähr 120 Prozent(!) der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Masal Tow! Und so musste alles wiederholt werden.

Man sieht, wie wichtig es ist, dass sich jemand die Mühe macht, alles gründlich zu prüfen – und wie peinlich das Ergebnis mitunter sein kann. Doch sollte man darüber nicht lachen, denn das meiste ist viel zu ernst: Ich habe von Gemeinden gehört, in denen Mitglieder jahrelang ihre Beiträge gezahlt haben und plötzlich nicht beigesetzt werden können, weil sie angeblich »nicht jüdisch genug« sind.

Oder: Es soll Gemeinden geben, in denen die meisten Mitglieder »Karteileichen« sind. Wahrscheinlich ist nicht alles wahr, was man so hört, wenn man durchs Land fährt. Und man sollte sich in Acht nehmen vor Laschon Hara, der üblen Nachrede. Doch von manchem Vorwurf ist bekannt, dass er leider der Wahrheit entspricht.

GERÜCHTE

Als Wanderrabbiner sieht man viel, und es kommt einem so manches zu Ohren. Einige Gerüchte höre ich seit anderthalb Jahrzehnten. Mitunter denke ich: Wie schön wäre es, wenn jemand alles richtig kontrollieren würde, wenn jeder erwachsene Jude und jede erwachsene Jüdin in Deutschland einen halben Euro bezahlen müsste und nur diejenigen, die das getan und eine Quittung unterschrieben hätten, damit beweisen würden, wirklich als Mitglieder geführt zu werden. Wie schön wäre es, wenn alle Listen innerhalb der Gemeinden so offen wären wie die Listen der Stammesoberhäupter in der Bibel.

Im 2. Buch Moses 39,32 ist die Arbeit am Heiligtum, dem Stiftszelt, vollendet. Es muss nichts nachgearbeitet werden, es wird nicht nötig sein, schon nach fünf Jahren das Dach zu erneuern oder Tausende Schekel für einen Rechtsstreit mit dem Architekten auszugeben.

Zugegeben, das Heiligtum ist bescheiden. Aber man kann es von einem Ort zum anderen transportieren. Einige Levitenfamilien werden später damit beauftragt, alles auseinanderzubauen, einzupacken und weiterzutragen. Es wird zwar keine Architekturpreise bekommen, aber es muss auch nicht von einem Sicherheitsdienst bewacht werden. Und: Die Gemeinde hat sich mit dem Bau nicht verschuldet. Das biblische Heiligtum steht einfach dort, wo die Menschen sind – wo auch immer das sein mag. Dort wird Gott geehrt und angebetet, dort wird geopfert, und dort wird Mosche mit Gott reden. Kurzum: Hier wird Heiliges getan, nicht nur gezeigt.

MILLIARDEN

Mehrere Tausend Jahre später können wir noch immer davon lesen – und lernen. Vieles sollte uns Heutigen zu denken geben. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass »öffentliche Projekte« Millionen und Milliarden kosten. Dazu gehören Flughäfen, Bahnhöfe, Krankenhäuser, Autobahnen – und auch Synagogen. Es gibt aber einige (meist kleinere) Gemeinden, die fast ohne Geld und nur mit Liebe, Mut, freiwilliger Arbeit und Spenden so vieles leisten, um ihr Judentum zu leben und zu feiern und die heilige Arbeit einer Kehilla Kedoscha durchführen. Sie beweisen: Es ist möglich.

Egal, wie viele Schekel oder Euro ausgegeben werden: Wichtig ist allein, dass alle ehrlich damit umgehen und die Spenden und Einnahmen zu schätzen wissen. Ganz gleich, ob die Gelder vom Staat, von Sponsoren oder von Kleinstspendern kommen – sie sind für Gott gegeben, nicht für den Vorstand. Sie sind für Gemeindearbeit gegeben, nicht für Gemeindepolitik, für Kooperation und nicht für Korruption.

Am Ende unseres Wochenabschnitts lesen wir, dass eine Wolke über dem Zelt schwebt. Sie tut es nicht, damit keiner sehen kann, was passiert, sondern damit alle sehen können: Gott ist hier mit uns. Wenn wir ehrlich sind.

Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 15.3.2012.

18.03.2016 Artikelarchiv >>
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