WAJAKHEL
Engel - Spiegel unseres Selbst
Auslegung von Rabbinerin KlapheckIn meiner Gemeinde entstand unlängst eine Diskussion über die Frage, was Engel in der Tora ausdrücken und warum es bestimmte Engel gibt, die stes paarweise erscheinen. Eine solche Sorte sind die Kerubim – die Keruwen.
An diesem Schabbat lesen wir den Tora-Abschnitt Wajakhel im Buch Exodus. Er erzählt in Kapitel 37 wie der Künstler Bezalel zwei Kerubim aus Gold herstellte. Sie standen im Innersten des Heiligtums – im Kodasch Hakodaschim – dort, wo sich auch die Bundeslade mit den Zehn Geboten befand. Über sie breiteten die Kerubim schützend ihre Flügel aus. Zwischen ihnen soll die Schechina, die Präsenz Gottes gewohnt haben.
Dies ist aber nicht das erste Mal in der Tora, bei dem Kerubim erwähnt werden. Als Gott Adam und Eva aus dem Garten Eden verstieß, stellte er zwei Kerubim an dessen Eingang. Seitdem schwingen sie dort ihre lodernden Schwerter und verhindern, dass Menschen ins Paradies zurückkehren können.
Kerubim – ob im Allerheiligsten des Tempels oder an der Pforte zum Paradies - markieren offensichtlich eine Schwelle – vom Diesseits in eine Jenseitigkeit. Sie sind jedoch nicht nur Hüter dieser Schwelle. Sie sind auch ein Indikator. Zweimal werden die Tempel-Kerubim in der Hebräischen Bibel beschrieben. Einmal im Wochenabschnitt Wajakhel, den wir an diesem Schabbat lesen. Und dann noch einmal im 2. Buch der Chroniken. Den rabbinischen Autoren der Midraschim, der spätantiken Auslegungen, fiel dabei ein Widerspruch auf.
Im Buch Exodus haben die Kerubim die Gesichter einander zugewandt. Es heißt da in Kapitel 37, Vers 9:
Und die Kerubim waren darüber, die Flügel ausgebreitet, mit ihren Flügeln den Deckel beschattend und ihre Gesichter einander zugewandt...
Im 2. Buch der Chroniken schauen sie hingegen voneinander weg in den Raum. Dort steht in Kapitel 3, Vers 13: "Sie standen auf ihren Füßen, das Antlitz nach dem Raume gekehrt."
Die Rabbiner deuteten diese zwei - in einem markanten Detail voneinander abweichenden Versionen - ethisch und damit zugleich gesellschaftspolitisch. Nach ihrer Deutung spiegelte die Haltung der Kerubim die jeweilige Stimmung in der israelitischen Bevölkerung wider. War es eine gute Zeit - befolgte man also die Gesetze der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit -, sahen sich die Kerubim im Tempel gegenseitig an. War es hingegen eine schlechte Zeit – bestimmten Machtintrigen, Ungerechtigkeit und Zynismus das Geschehen -, dann sahen die Kerubim voneinander weg.
In besonders guten Zeiten umarmten sich die Kerubim sogar zu einer erotischen Vereinigung. Wie provokativ dieses Bild war, wussten die Rabbiner. Im Talmud-Traktat Joma heißt es:
"Rabbi Katina sagte: Wenn die Israeliten an den drei Wallfahrtsfesten in den Tempel zu Jerusalem kamen, da öffnete man vor ihnen den Vorhang [zum Allerheiligsten], und man zeigte ihnen die Kerubim, die in inniger Umarmung waren, und man sagte ihnen: ‚Sehet, eure und Gottes gegenseitige Liebe ist wie die Liebe des Mannes und der Frau.’ Resch Lakisch sagte: Als die Heiden den Tempel eroberten, sahen sie die Kerubim, die in inniger Umarmung waren. Sie schleppten sie auf den Markt hinaus und riefen: ‚Sehet! Israel, dessen Segen ein Segen und dessen Fluch ein Fluch ist, beschäftigt sich mit derartigen Dingen!’ Dann schmähten sie." (TB Joma 54 a/b)
Während der Diskussion zur Frage, was Engel in der Tora ausdrücken, war eine der Antworteten: uns selbst. Die Engel sind etwas von uns – etwas allerdings, das über uns als Einzelne hinausgeht und in eine göttliche Dimension verweist. Bei den Kerubim sind es die Beziehungen mit anderen Menschen, in denen wir uns spiegeln und in denen sich eine göttliche Dimension eröffnet. Deshalb erscheinen Kerubim stets paarweise und soll zwischen ihnen im Tempel die Schechina – die Präsenz Gottes gewohnt haben – wie überhaupt in allen guten Beziehungen etwas von Gott wohnt.
11.03.2016 Artikelarchiv >>
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