hauptmotiv

SCHABBAT SCHUWA

Teschuwa in vier Schritten

Auslegung von Rabbinerin Ederberg

Gute Vorsätze haben wir Alle, besonders zu Neujahr, aber meist wird nicht viel aus ihnen.
Schon im Begriff der ‚guten Vorsätze‘ schwingt ja mit, dass es eben meist bei den ‚Vorsätzen‘
bleibt und nicht zur Tat kommt. Trotzdem sollten wir nicht unterschätzen, dass schon mit der
Formulierung dieser Vorsätze ein wesentlicher Schritt getan ist: Wir haben ins Auge gefasst
und uns bewusst gemacht, dass es Änderungsbedarf gibt, dass nicht alles zum Besten steht
und dass wir unser Leben ändern wollen.

Darum geht es an diesem Schabbat, der den Namen Schabbat Schuwa trägt: um die Einsicht,
dass nicht alles gut ist und um die Umkehr hin zu einem besseren Leben mit uns selbst, mit
den Menschen um uns herum und mit Gott. Darum geht es auch überhaupt in den zehn Tagen
der Umkehr, in denen wir uns gerade befinden von Rosch HaSchana bis Jom Kippur, vom
jüdischen Neujahrsfest bis zum Versöhnungstag.

Dass Umkehr überhaupt möglich ist, dass wir die Chance haben, aus Fehlern zu lernen und
wieder neu zu beginnen, liegt an Gott, der ‚nicht den Tod des Sünders will, sondern, dass er
von seinem Wege ablässt und lebt‘, wie der Prophet Ezechiel schreibt. Die jüdische Tradition
spricht von den zwei Eigenschaften Gottes, der ‚Midat haDin‘ und der ‚Midat haRachamim‘,
dem Maßstab des Gerichts und dem Maßstab des Erbarmens. Gottes Gerechtigkeit führt dazu,
dass wir mit den Konsequenzen unserer Handlungen zu rechnen haben. Aber Gottes
Barmherzigkeit ist immer größer und so ermöglicht er uns die Umkehr und den Neuanfang.
Die Haftara, die Prophetenlesung, für diesen Schabbat der Umkehr - Schabbat Schuwa -
vereint Abschnitte aus den Propheten Hoschea, Joel und Micha. Sie beginnt mit den Worten:
‚Schuwa Israel ad Adonai Eloheicha – Kehre um Israel zum Ewigen, deinem Gott‘ und endet
mit: ‚Er kehrt zu uns zurück und erbarmt sich … er wirft all unsere Sünden in die Tiefen des
Meeres … wie er unseren Vorfahren versprochen hat‘.

In dieser Haftara geht es seitens des Menschen um Reue und Schuldbekenntnis und seitens
Gottes um Sündenvergebung und Gnade. Die spätere rabbinische Tradition sieht gerade in
diesen Texten die Grundlage, um auszubuchstabieren, wie Umkehr denn konkret aussehen –
und vor allem auch nachhaltig sein könne. Der Philosoph Maimonides fasst das im 12.
Jahrhundert so zusammen: ‚Wie bekennt man seine Schuld? Man sage: Ich flehe Dich an, Gott,
ich habe gesündigt, ich habe gefehlt, ich habe eine Übertretung begangen, indem ich so und
so getan habe. Siehe, ich bereue und schäme mich für meine Taten. Ich verspreche, dies nie
wieder zu tun‘.

Lassen Sie uns Schritt für Schritt schauen, wie also Teschuwa, wie Umkehr und Buße
aussehen können, damit es nicht bei bloßen Vorsätzen bleibt?
Der erste Schritt dabei ist die Einsicht, dass etwas nicht gut ist. Wir haben etwas Falsches
getan oder etwas unterlassen, das wir hätten tun müssen. Möglicherweise ist dieser erste der
schwerste Schritt von allen, denn nicht nur die Gewohnheit, sondern auch die Furcht vor den
Konsequenzen und die Angst, vor anderen das Gesicht und möglicherweise noch viel mehr zu
verlieren, bringt uns im Alltag dahin, vor unseren eigenen Fehlern die Augen zu verschließen.
Der zweite Schritt ist die Reue. Wir müssen nicht nur einsehen, dass wir einen Fehler gemacht
haben, sondern ihn auch bereuen. Auf den ersten Blick erscheint dies merkwürdig. Eigentlich
sollte die Reue ja automatisch Teil der Einsicht sein, einen Fehler gemacht zu haben. Einsicht
aber ist eine Leistung des Verstandes, Reue ist ein Gefühl. Erst die Reue öffnet uns emotional,
ermöglicht uns zu spüren, wie der, dem wir etwas angetan haben, sich fühlt und stärkt so
unsere Bereitschaft, etwas zu tun, um den Fehler wieder gut zu machen.
Der dritte Schritt dann ist, auch öffentlich zu unseren Fehlern zu stehen, uns zu ihnen
bekennen. Während die ersten beiden Schritte, Einsicht und Reue, sich nur in uns selber
abspielen, lässt uns der dritte Schritt, das Bekenntnis in der Öffentlichkeit, keine
Rückzugsmöglichkeit mehr. Wir haben uns damit zugleich verpflichtet, diesen Fehler nie zu
wiederholen.
Dann folgt aus dem Bekenntnis der Schuld der vierte und letzte Schritt, der Versuch, den
angerichteten Schaden so weit als möglich wieder gut zu machen. Nicht alles lässt sich wieder
reparieren, aber das meiste lässt sich zumindest lindern. Auch führen diese Schritte dazu,
weniger neue Fehler zu begehen, denn allzu oft begehen wir die großen und schlimmen Fehler
ja beim Versuch, kleinere Fehler, die wir nicht eingestehen wollen, zu verbergen.
Wenn wir jetzt noch einmal die Haftara anschauen, so können wir noch etwas Wichtiges
lernen: Die Propheten geben uns Formen vor, wie wir nicht nur als Einzelne, sondern als
Gemeinschaft vor Gott stehen und unsere Fehler bekennen können. Solche Formen und
Rituale, das gemeinsame Suchen nach neuen Wegen und das gemeinsame Bekenntnis
unserer Fehler helfen uns auf dem Weg der Umkehr und befreien uns aus unserer
Sprachlosigkeit. Der vor uns stehende Versöhnungstag – Jom Kippur – bietet genau dies,
einen gemeinschaftlichen Rahmen, in dem wir zwar jeder mit unseren eigenen Fehlern, mit
unser eigenen Schuld vor Gott stehen, uns aber durch gemeinsames Gebet und Eingeständnis
unserer Fehler gegenseitig auf dem Wege zu Erkenntnis und Reue, zu Bekenntnis und
Wiedergutmachung helfen.

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung des RBB, dort gesendet an Schabbat Schuwa 2013.

02.10.2020 Artikelarchiv >>
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