hauptmotiv

WAJAKHEL - PEKUDE

Zusammenspiel von Kopf und Herz

Auslegung von Rabbiner Wolff

In zwei Worten verkündet die Torah in dem morgigen Wochenabschnitt eine tiefe Wahrheit über die praktische Begabung des Menschen, einfach über geschickte Hände – die mir leider nie zu Teil wurden. Wenn ich einen Nagel in der Wand anbringen möchte, nehme ich einen Hammer und haue mir erst einmal auf meinen eigenen Daumen, ehe der Hammer dann auf den Kopf des Nagels treffen kann. Und dieses Talent ist leider bei mir hartnäckiger als irgendein anderes.
So ist mir der Ausdruck, den die Torah im morgigen Abschnitt verwendet für praktisches Geschick, für die Fähigkeit mit Säge, Hammer und Schraubenzieher so schnell und so leicht umzugehen wie ich mit Kamm und Haarbürste, von ganz besonderer Bedeutung.
Sie nennt diese Fähigkeit Chochmat Lev – die Weisheit des Herzens. Die alten Hebräer verstanden, was die wenigsten Menschen heute verstehen – dass Weisheit nicht nur aus dem Kopf kommt, sondern aus einem Zusammenspiel von Kopf und Herz – und manchmal sogar nur alleine aus dem Herzen.
Das ist eine Wahrheit, mit der die heutige westliche Philosophie sich schwer tut – sie wird nur selten in philosophischen Werken erwähnt. Und sie bezieht sich nicht nur auf Handwerk – aber ganz besonders auf den Umgang mit unseren Mitmenschen. Wenn wir die Menschen an unserem Arbeitsplatz und ganz besonders in unserer Familie oder im Freundeskreis wirklich verstehen wollen, warum zum Beispiel sie überpünktlich sind oder immer zehn oder fünfzehn Minuten zu spät zu einem Termin kommen, dann benötigen wir unser Herz genau so, oder möglicherweise noch mehr als unsern Kopf. Denn unser Herz verleiht uns nicht nur unser Gefühl – das sagt uns wenigstens unsere herkömmliche Weisheit – aber ganz besonders unser MITgefühl. Und wir können weder unsere Partner noch unserer Kinder, weder unsere Eltern noch unsere Arbeitskollegen und keinen Menschen überhaupt völlig verstehen, ohne unser Mitgefühl mit ins Spiel zu bringen.
In den letzten Jahren des Lebens meiner Mutter war er meine Plicht mich um sie zu kümmern – ich war der einige ihrer drei Kinder, das noch am Leben war – die anderen zwei waren leider frühzeitig umgekommen. Da ich leider nicht geheiratet hatte und so keine eigene Familie hatte, war das kein Problem. Ich konnte wieder bei ihr einziehen. Als sie nun Anfang Achtzig war, konnte sie kaum mehr aus dem Haus – ihre körperliche Kraft hat dazu nicht mehr gelangt – und später konnte sie dann auch nicht mehr aus ihrem Schlafzimmer heraus.
So sagte ich eines Tages – „Ich werde jetzt den Fernsehapparat herauf in dein Schlafzimmer verlegen, damit du wieder regelmäßig die Nachrichten und sonstige Lieblingsprogramme anschauen kannst.“ Aber das wollte sie absolut nicht. Erst später habe ich dann verstanden warum – denn er wäre ein sichtbarer Beweis dafür gewesen, dass sie nie wieder nach unten in ihr Wohnzimmer kommen würde. Und damit konnte sie sich zu dem Zeitpunkt schlecht abfinden.
Um Menschen und ihre Lage im Leben zu verstehen, ob sie uns nahe stehen oder nicht, brauchen wir immer mehr als unseren Kopf, mehr als nur unser Gehirn, so fähig es auch sonst sein mag. Wir benötigen hauptsächlich unser Herz. Denn das Herz verleiht uns ein Verständnis, welches unser Kopf alleine uns nie schenken könnte.
Um eine geschickte, nützliche und vollkommene Arbeit zu leisten, brauchen wir immer mehr als nur technischen Wissen und technische Fähigkeit, brauchen wir mehr als Säge und Schraubenzieher, oder Tastatur des Computers. Wir brauchen unser Herz. Denn das Herz verleiht uns Einsichten in die menschlichen Bereiche, welche unser Gehirn nie erreichen kann.
Das verstanden die Autoren unserer Torah schon als sie menschliche Geschicktheit als „Chochmat Lev“ – als die „Weisheit des Herzen“ bezeichneten.
Und dieses Verständnis benötigen wir bis zur heutigen Stunde, wenn wir nicht nur unsere tägliche Arbeit, sondern unser ganzes Leben mit all seinen menschlichen Beziehungen nützlich, zweckgemäß und erfolgreich gestalten wollen.
Wir benötigen stets und dringend unsere Chochmat Lev – die Weisheit, die nur unser Herz uns zu verleihen vermag.
Schabbat Schalom

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin Brandenburg, dort gesendet am 16.3.2012.

20.03.2015 Artikelarchiv >>
Rabbiner & RabbinerinnenStrömungenPositionenBet DinPublikationenLinksImpressum
Bookmark für: Facebook
Home
logo der allgemeinen rabbinerkonferenz

© Allgemeine Rabbinerkonferenz
Meldungen

PREISE

Rabbiner Gábor Lengyel erhielt den Deutschen Dialogpreis

Rabbinerin Elisa Klapheck erhielt den Marie-Juchacz Frauenpreis

Noch Ende November 2023 wurde Rabbiner Dr. Gábor Lengyel vom Bund Deutscher Dialoginstitutionen mit dem Deutschen Dialogpreis...

Lesen Sie mehr...

Wie kommt ein Jude in den Himmel?


Paraschat Haschawua

Schabbat Sachor

Auslegung von Rabbinerin Ederberg

Verstörend

‚Sachor – Erinnere dich’, so lautet der Name des heutigen Schabbat, dem Schabbat vor Purim.

Nächste Woche an Purim lesen wir in der ‚Megillá’, dem Buch Esther, wie die Juden Persiens in große Gefahr kommen, aber von der Königin Esther und ihrem Onkel Mordechai gerettet werden. Von Gott aber ist in der ganzen Geschichte keine...

22.03.2024   Lesen Sie mehr...