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WAJESCHEW

Juda ging seinen eigenen Weg

Auslegung von Rabbinerin Klapheck

Warum ist die Tora entstanden? Manche Wissenschaftler sagen hierauf: Wegen eines politischen Dilemmas. Dem Bruderkrieg zwischen Israel und Judäa, dem Nordreich und dem Südreich, den beiden Zwergstaaten, die zwar zum selben Gott beteten, aber doch Krieg gegeneinander führten. Am Ende scheiterten sie an ihrer verhängnisvollen Machtpolitik, und ihre Bevölkerungen zogen ins Exil.

Die eine Bevölkerung verschwand – die zehn Stämme, zusammengefasst im Königreich Israel.
Die andere Bevölkerung überlebte – der Stamm Juda mit seinen Leviten. Er zog aus dem babylonischen Exil zurück und baute den zweiten Tempel in Jerusalem auf.

Die Parascha dieser Woche handelt von zwei Männern mit zwei sehr verschiedenen Schicksalen – zwei Brüdern - Josef und Juda.
Josef – das wissen Bibelkenner – wird später zur Metapher für Israel, für das Nordreich.
Juda – das ist der Vater der Juden, die als Angehörige des Südreiches Judäa das bablylonische Exil überlebten.

Der eine geht unter, der andere überlebt. Gibt es hierfür Gründe, aus denen die späteren Leser der Tora Lehren für ihr Leben ziehen können?

In beiden Schicksalen kommen Frauen vor.
Bei Josef zunächst die Frau des pharaonischen Chefkochs Potifar - und später Asnat, die Tochter ägyptischen Oberpriesters Poti Fera.
Bei Juda zunächst die Tochter des Schua, eines kanaanäischen Freundes, die seine Frau wird – und später Tamar seine kana'anäische Schwiegertochter.

Aber nicht so schnell! Erinnern wir uns erst. Jakob ist mit seiner Sippe aus dem Exil zurückgekehrt und lebt jetzt in der Gegend von Sichem. Seine Söhne entwickeln sich nicht gerade zu vorbildlichen Stammesführern, denen man zutrauen könnte, ein heiliges Volk hervorzubringen. Arroganz, Machismo und Neid umtreibt sie. Nach Dinas Vergewaltigung richten sie ein Blutbad in Sichem an. Eifersüchtig auf den jüngeren Bruder Josef wollen sie auch diesen umbringen, verkaufen ihn aber dann als Sklaven nach Ägypten. Keine Musterfamilie.

Doch nun wendet sich die Situation. Juda steigt aus. Er trennt sich von der Sippe, zieht seines eigenen Weges, findet einen Freund, einen Ka'ananäer und fängt ein neues Leben an. Er heiratet eine Kana'anäerin und bekommt mit ihr drei Söhne. Eigentlich – so steht in der Tora immer wieder – sollen sich die Israeliten nicht mit den Kana'anäern verbinden. Aber Juda überschreitet dieses Verbot – ganz offensichtlich lässt er sich auf das Land und seine Leute ein.

Ganz anders dagegen Josef in Ägypten. Den erotischen Avancen der Frau des Potifar weicht er aus. Er tut, was Gott in einem solchen Fall verlangt. Er bleibt rein und zunächst von der ihn umgebenden, ägyptischen Kultur unberührt. Vielleicht ist es dieses unberührbare Unberührtsein, das Josef soviele Extreme erleben lässt – ganz unten, durch die Frau Potifars ins Gefängnis gebracht – und dann wieder ganz oben, nachdem er die Träume die Pharaos gedeutet hat.

Ganz unten, als er noch Sklave war, hat sich Josef nicht mit den Ägyptern verbunden. Ganz oben jedoch, verbindet er sich nun mit der Macht. Er ist inzwischen Minister des Pharao und heiratet Asnat, die Tochter des ägyptischen Oberpriesters. Von nun an gehört er zur ägyptischen Oberschicht.

Ganz anders dagegen Juda in Kanaan. Seine kinderlos gebliebene Schwiegertochter Tamar, Witwe seiner beiden Söhne, verführt ihn, indem sie sich als Hure verkleidet und ihm auf dem Weg zur Arbeit aufwartet. Juda fällt auf das Spiel herein, Tamar wird schwanger. Als die Sache auffliegt, drohen beide, Juda und Tamar, ihrer Ehre verlustig zu gehen.

Asnat und Josef in Ägypten
Tamar und Juda in Kanaan

Asnat ist als Priestertochter Trägerin gesellschaftlicher Macht
Tamar ist als kinderlose Witwe Verkörperung gesellschaftlicher Ohnmacht

Asnat bindet Josef in das ägyptische Machtsystem ein.
Tamar führt Juda die Ungerechtigkeit der Machtverhältnisse vor Augen.

Josef macht mit.
Juda macht nicht mit. Über Tamar sagt er revolutionäre Worte: "Sie ist gerechter als ich." Ausgerechnet sie – eine Frau, eine Kana'anäerin - eine, die als Hure aufgetreten ist.

Die Nachfahren Josefs, der ganz oben mitspielt, werden untergehen. Die Nachfahren Judas, der einer ohnmächtigen Frau zu Gerechtigkeit verhilft, werden überleben.

Wir lesen diese Geschichten in der Chanukkazeit. Judas Geschichte setzt ein Zeichen gegen allzuviel Abgrenzung – sei es gegenüber den Kana'näern, den Ägyptern oder den Griechen, um die es in der Chanukka-Geschichte geht. Mag Gott von uns Juden auch solche Abgrenzung verlangen. Schon Juda hat sich dem widersetzt und damit das Leben gewählt. Vielleicht entstand ja schon in dieser Geschichte jene eigenartige, typisch jüdische Spannung in ihrer Beziehung zu Gott. Sie besteht nicht nur aus Gehorsam, sondern genauso auch aus Widerstand.

19.12.2014 Artikelarchiv >>
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