hauptmotiv

NOACH

Tod, Verwüstung, Zerstörung

Auslegung von Rabbiner Brandt

In der Beliebtheitsskala der Bibelerzählung nimmt wohl die Geschichte der Arche Noachs eine Spitzenposition ein. Sie erfüllt alle Voraussetzungen um für Lehrer und Schüler erfreulich zu sein: Dramatischer Inhalt, anschauliche Bilder, besonders aus der Welt der Tiere, und ein ‚happy end‘.
Als ich mir den Wochenabschnitt für diesen Schabat Noach durchlas – denn wir lesen morgen die Geschichte der Sintflut – rief ich mir dieses Modell in Erinnerung. Je mehr ich mich aber in die Geschichte vertiefte, desto unwohler wurde es mir zu Mute. Der Noach, den ich in der Bibel fand, hatte bald gar nichts mehr mit der gutmütigen Onkelfigur der Religionsschule zu tun. Langsam, wie durch einen grauen Nebel, eröffneten sich mir Bilder, die zur Dämmerung der menschlichen Geschichte zurückführten und doch erschreckend zeitgemäß blieben. Auch in diesen Bildern erscheinen Arche, Tiere, Regenbogen und die Überlebenden: Noach, seine Frau, seine Söhne und deren Frauen. Aber sie stehen nicht mehr im Brennpunkt des Geschehens. Sie sind nur verschwindend winzige Erscheinungen auf einer gigantischen Szene, dominiert von Tod, Verwüstung, Zerstörung – Zeugen unsäglichen Leidens.
Und die Moral von der Geschichte? Denn die Geschichte hat eine Moral – ist eigentlich hauptsächlich wegen ihrer Moral erzählenswert. Es ist eine Moral, die wie mit dem Finger auf uns weisend, direkt unsere Generation anspricht: Mit einer Warnung und einem tröstendem Gedanken. Kurz gefasst, die Moral der Geschichte ist: Die Bosheit der Menschen hat ihre Welt zerstört. Die Warnung, wenn auch nur implizit; Es kann wieder geschehen. Der tröstende Gedanken: Es liegt im Bereich der Möglichkeiten jeder Generation, sei sie auch nicht die beste, das Unheil zu verhüten.
Denn da war Noach. Danke seiner Rechtschaffenheit konnte die Menschheit einen neuen Anfang nehmen. Nur stellt sich die Frage, ob wir uns in die Qualitätsstufe eines Noachs einreihen können, ob wir auch Gnade und Rettung verdienen. Da stehen einige kleine Wörtchen aus denen unsere Weisen erlesen, dass es doch so sein könnte. Denn da heißt es: „Noach war ein gerechter Mann, tadellos in seiner Zeit.“ In seiner Zeit, unter seinen Zeitgenossen samt ihrer Bosheit, war Noach etwas Besonderes. In einer anderen Zeit, unter Menschen von höherem moralischem Kaliber, wären seine guten Eigenschaften nicht bemerkenswert gewesen. Daraus schließen einige Kommentatoren, dass es genügt im Verhältnis zur Umwelt das Bestmögliche zu tun, um mit Gott zu wandeln und in seinen Wegen zu gehen, wenn das Bestmögliche auch nicht immer so etwas Besonderes ist. Nachdem wir wissen, dass wir keine Heiligen sind, dass wir auch von den Unwerten der Zeit angesteckt sind, hilft es uns doch zu wissen, dass wir den Versuch zur friedlichen, brüderlichen, gerechten Lebensweise unternehmen können, und dass auch dieser Versuch und diese Anstrengung ihren Sinn haben. Die Aussicht auf Erfolg ist ein Ansporn zur Tat.

Ich entbiete Ihnen, verehrte Hörer,
den Gruß des Schabatfriedens: Schabat Schalom.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des RBB, dort gesendet am 19.10.2012.

31.10.2014 Artikelarchiv >>
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