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KI TEZE

Aus und vorbei

Wie die jüdische Tradition die Ehescheidung regelt

Auslegung von Rabbinerin Ederberg

In der Tora lesen wir von einigen bewegenden und geglückten Paarbeziehungen – und auch von weniger geglückten. Wenn wir aber fragen, wie genau eine Hochzeit vor sich ging, welche Regeln während einer Ehe gültig waren und wie eine Ehe geschieden wurde, dann sind wir darauf angewiesen, aus vereinzelten Hinweisen ein Bild zusammenzusetzen.

Die bis heute gültigen Regeln, was der jüdische Mann seiner Frau schuldig ist, werden beispielsweise aus den Vorschriften abgeleitet, die in Paraschat Mischpatim den Umgang mit einer weiblichen Kriegsgefangenen regeln. Ähnlich versucht man, die Regeln für eine Scheidung aus dem Abschnitt für diese Woche, aus Paraschat Ki Teze, zu gewinnen, in der es eigentlich nur um den besonderen Fall geht, ob ein Mann eine Frau wieder heiraten darf, die unterdessen mit einem anderen Mann verheiratet gewesen war.

Gewohnheitsrecht

Wir können dieser Quellenlage entnehmen, dass vieles im Leben der Juden zur Zeit der Tora durch Gewohnheitsrecht geregelt war und oft nur besondere Fälle mit außerordentlichen Umständen eigens Erwähnung finden. Schon die Rabbinen des Talmuds standen vor diesem Problem und haben versucht, so viel wie möglich aus diesen wenigen biblischen Bemerkungen zu lernen. Gleichzeitig haben sie, wie Menschen es stets tun, die Quellen mit den Augen ihrer eigenen Zeit und ihrer eigenen Welt gelesen.

Dies war eine Welt, die sehr andere Vorstellungen von Geschlechterrollen, den jeweiligen Aufgaben von Männern und Frauen hatte als wir heute. So stehen auch wir vor der Aufgabe, die jüdische Tradition, die rabbinische Literatur wie auch alle anderen Texte und archäologischen Funde erneut zu betrachten, um Antworten auf heutige Probleme zu finden.

Beginnen wir damit, die Entwicklung der klassischen jüdischen Position zum Thema Scheidung zu skizzieren. In unserem Wochenabschnitt lesen wir von einem »Sefer Kritut«, einem schriftlichen Dokument, das der Mann der Frau bei der Scheidung aushändigt. Dies ist der Ausgangspunkt der späteren rabbinischen Diskussion.

Stigma

Festzuhalten ist zuerst, dass eine Scheidung grundsätzlich möglich ist. Im Gegensatz zu anderen religiösen Traditionen ist sie im Judentum nicht nur erlaubt, sondern sie bringt auch kein soziales Stigma mit sich. In der nachbiblischen jüdischen Tradition spricht man von einem »Get« (Scheidebrief). Er gab der Frau schon in talmudischer Zeit völlige Freiheit und Selbstbestimmung, was umso beachtlicher ist, als die traditionelle jüdische Hochzeit den Übergang von der Entscheidungsgewalt des Vaters in die des Ehemanns bedeutete.

Diese Freiheit hieß aber zugleich, dass die Frau keine Unterhaltsansprüche stellen kann. So wurde schon bei der Hochzeit die Möglichkeit einer Scheidung mitbedacht. Die Ketuba, der Ehevertrag, bildet zugleich die Absicherung der Frau und legt fest, was sie erhält im Falle einer Scheidung, die sie selbst nicht verschuldet hat.

Allerdings ist es nach jüdischem Recht der Mann, der die Scheidung initiieren – »den Get geben« – muss, während die Frau ihn empfängt. Zwar wurden schon in talmudischer Zeit Fälle beschrieben, in denen die Frau ein Recht auf Scheidung hat: bei Misshandlung, fehlender Versorgung und wenn der Mann ihr »widerwärtig« ist. Bis heute ist aber umstritten, ob sie dieses Recht auch durch einen rabbinischen Gerichtshof, ein Beit Din, einklagen kann, oder ob in jedem Falle der Mann den Scheidebrief freiwillig ausstellen muss. Offenbar hat der Mann damit ein ganz außerordentlich starkes Druckmittel in der Hand, und dies wird leider auch oft genug ausgenutzt, zum Beispiel in Verhandlungen über Unterhalt und Sorgerecht.

Damit dieser Scheidebrief gültig ist und nicht angezweifelt werden kann, hat man genauer und detaillierter als bei jedem anderen jüdischen Rechtsdokument festgelegt, wie der Text und sogar die Zeilenaufteilung auszusehen hat. Unbeabsichtigt hat man dadurch aber wieder Raum für Anfechtungen geschaffen. Die heute beliebteste Art der Anfechtung ist, die Zeugen zu disqualifizieren, etwa weil die Rocklänge ihrer Frauen dem Rabbinat missfällt und dergleichen mehr.

Um einen Missbrauch dieser starken Stellung des Mannes im Scheidungsfall zu verhindern, zumal heute die Druckmittel der jüdischen Gemeinschaft auf widerspenstige Männer sehr gering sind, gibt es seit etwa 50 Jahren Klauseln, die den Mann verpflichten, im Falle einer zivilen Scheidung auch einen religiösen Scheidebrief auszustellen.

aguna

Was man vor allem verhindern möchte, ist, dass eine Frau zur »Aguna« wird, zu einer Gebundenen, die trotz zivilrechtlicher Scheidung religiös weiter an ihren Mann gebunden bleibt und deren weitere Kinder aus einer neuen Beziehung dann den Status eines Mamser bekommen würden, die zwar Juden sind, aber weder Juden noch Nichtjuden heiraten dürfen, sondern nur andere Mamserim. Auch im Falle, dass der Ehemann verschollen ist, sein Tod aber nicht bewiesen werden kann, ist übrigens die Frau eine Aguna und kann nicht wieder heiraten.

Bei der Formulierung solcher Klauseln kann man sich ebenso darauf berufen, dass wir aus der Antike Dokumente haben, die beweisen, dass früher auch eine Frau nach jüdischem Recht die Scheidung einreichen konnte. So lesen wir von Miftachja aus dem fünften Jahrhundert v.d.Z.: »Morgen oder an einem anderen Tag, wenn Miftachja in der Versammlung aufsteht und sagt: ›Ich scheide mich von meinem Gatten Aschor‹, so muss sie den Preis für die Scheidung zahlen (…) und sie kann gehen, wohin sie will.«

Diese Klauseln werden entweder in einem eigenen Ehevorvertrag festgehalten (als »Tnai be-Kidduschin«), den das Brautpaar vor der Hochzeit vor Zeugen unterschreibt, oder sie bilden direkt einen Teil der Ketuba. Da sich heute sehr viele Ehepaare trennen, ist es besonders wichtig, auch die jüdische Scheidung schon vor der Hochzeit, der Chuppa, mitzubedenken – und hier möglichst weitgehende Gerechtigkeit herzustellen. So ist es die Verantwortung der Rabbiner und der Gemeinden, vorzusorgen, um späteres Leid, wenn nicht zu verhindern, so doch wenigstens zu verringern.

Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 15.08.2013.

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