hauptmotiv

WA'ETCHANAN

"Auf dass es dir wohlergehe"

Nur das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, verspricht auch Belohnung

Auslegung von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl

Unser Wochenabschnitt enthält die Zehn Gebote. Das erste Mal stehen sie in der Tora im 2. Buch Moses 20. Sie bilden die Essenz, das Kernstück der Ge- und Verbote, die G’tt dem Volk Israel auf dem Berg Sinai gegeben hat. Nach der Beschreibung im 2. Buch Moses hat das gesamte Volk Israel die Zehn Gebote gehört, alle weiteren Mizwot gab G’tt Mosche, damit er sie den Kindern Israels vermittele.

Auf das Gebot, den Schabbat zu halten, folgt das Gebot, Vater und Mutter zu ehren. Es wird uns jedoch im 2. und 5. Buch Moses mit kleinen Unterschieden überliefert. Im 2. Buch Moses 20,12 steht geschrieben: »Ehre Vater und Mutter, auf dass du lange lebst auf dem Boden, den der Ewige, dein G’tt, dir geben wird.« Im 5. Buch Moses 5,16 lesen wir: »Ehre Vater und Mutter, wie es der Ewige, dein G’tt, dir befohlen hat, auf dass du lange lebst und es dir wohlergehe auf dem Boden, den Er, dein G’tt dir geben wird.« Der Unterschied liegt in der Begründung »ulemaan jitav lach« – und es dir wohlergehe.

Der italienische Rabbiner, Philosoph und Arzt Obadja ben Jacob Sforno (1475–1550) erklärt, bei diesem Zusatz gehe es darum, die Belohnung für die erfüllte Mizwa nicht erst in ferner Zukunft zu erwarten: »Es wird dir wohlergehen auch in dieser Welt.« Noch zu unseren Lebzeiten, in dieser ersten Welt, wird sich der Segen des Gehorsams gegenüber diesem Gebot auswirken und zwar nach Auffassung der Tora grenzenlos.

Belohnung

Zwei weitere Punkte fallen auf, an denen wir einen Unterschied zu den anderen neun Geboten feststellen können. Zunächst wäre da von der erwähnten Belohnung zu sprechen, die das Befolgen der Mizwa mit sich bringt. Bei den übrigen der Zehn Gebote wird nicht gesagt, dass mit ihrer Erfüllung eine absehbare Belohnung erfolgt, und in diesem Falle ja sogar eine doppelte: Es wird ein langes und dazu noch ein gutes Leben versprochen.

Es gibt zwei weitere Mizwot außerhalb der Zehn Gebote, die unser Thema aufnehmen und in denen ein langes Leben versprochen wird. So heißt es im 5. Buch Moses 22, 6-7: »Wenn du auf dem Wege auf ein Vogelnest triffst mit Küken oder Eiern, sei es auf irgendeinem Baume oder auf der Erde, und die Mutter auf den Küken oder den Eiern sitzt, dann darfst du nicht die Mutter samt den Jungen nehmen. Die Mutter musst du fliehen lassen, die Jungen aber darfst du dir nehmen, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst.«

Ein weiteres Mal wird das Thema »langes Leben« in folgender Mizwa deutlich: »Ein unversehrtes und richtiges Gewicht sollst du haben, ein unversehrtes und richtiges Epha (altes Kubikmaß für Getreide, rund 40 Liter) sollst du haben, auf dass du lange auf dem Boden lebst, den der Ewige, dein G’tt, dir gibt« (5. Buch Moses 25,15).

Rambam

Auch in der Ausführung des Gebots, die Eltern zu ehren, gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Unsere Weisen geben etliche Beispiele: »Ehre deinen Vater und deine Mutter«, indem du sie mit ausreichend Nahrung und sauberer Kleidung versorgst. Der Rambam, Maimonides (1138–1204), definiert in seinem Sefer Mizwot (Mizwa 211): Das Ehren des Vaters bestehe darin, dass der Sohn nicht den Stammplatz seines Vaters einnimmt, er nicht an dessen Stelle das Wort ergreift und es unterlässt, seine Rede zu korrigieren.

Im Babylonischen wie im Jerusalemer Talmud (Peah 1. Kap) finden wir Midraschim über die Elternehrung. Rabbi Tarfon erzählt, dass er mit seiner Mutter spazieren ging. Dabei entdeckte er, dass ihre Schuhe kaputt waren. Er legte seine Hände unter ihre Füße und geleitete sie im wahrsten Sinne des Wortes auf seinen Händen nach Hause.

Eine weitere Geschichte lesen wir zu unserem Thema im Talmud: Dama ben Netina, ein angesehener Mann in der Stadt Aschkelon, besaß einen sehr wertvollen Stein. Dieser gehörte zu den zwölf Steinen aus der Brustplatte der Hohepriester. Als eines Tages Leute kamen, um diesen Stein zu kaufen, antwortete der Sohn, dass sein Vater schläft und er ihn nicht wecken könne.

Die Besucher dachten, der von ihnen angebotene Kaufpreis wäre zu niedrig, und es handele sich deshalb bei der Antwort des Sohnes um eine Ausrede. Darum erhöhten sie den Preis mehrfach. Aber trotzdem war der Sohn nicht bereit, seinen Vater zu wecken. Zur Belohnung erhielt Dama ben Netina eine Kuh, die eine rote Kuh gebar. Diese verkaufte man später für viel Gold (Jeruschalmi Kiduschin 1. Kapitel).

Ehrfurcht

Insgesamt enthält die Tora vier Gebote, die mit der Ehrung der Eltern verbunden sind. Zwei positive und zwei negative. Erstens: Die Eltern sollen durch alle nur mögliche Hilfe und Unterstützung ihrer Kinder Ehre erfahren. Zweitens: »Vor Vater und Mutter soll ein jeder von euch Ehrfurcht haben« (3. Buch Moses 19,3). Das bedeutet, ihre Ehre nicht zu verletzen, sie zum Beispiel nicht mit dem Vornamen anzusprechen.

Drittens: Man darf die Eltern nicht schlagen. Die Tora verbietet grundsätzlich, einen Menschen zu schlagen und erst recht die Eltern. Wenn jemand einen Freund schlägt und ihn dabei verletzt, bezahlt er für die verursachten Verletzungen. Derjenige aber, der seine Eltern schlägt und dadurch auch nur einen Tropfen Blut vergießt, zieht die Todesstrafe auf sich (2. Buch Moses 21,15).

Viertens: Man darf die Eltern nicht verfluchen. Auch hier gilt das grundsätzliche Verbot der Tora, Menschen zu verfluchen. Doch Eltern zu verfluchen, ist weit schlimmer. »Denn wenn jemand seinen Vater oder seine Mutter verflucht, so soll er getötet werden: Wenn er seinen Vater, seine Mutter verflucht hat, komme sein Blut über ihn« (3. Buch Moses 20,9).

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 2.8.2012.

04.08.2023 Artikelarchiv >>
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