hauptmotiv

DEWARIM

WIE?

Auslegung von Rabbiner Sievers

Nach vierzigjähriger Wanderung durch die Wüste gelangt das Volk nun an die Grenze zu Eretz Jisrael und bereitet sich auf die Überquerung des Jordan vor. Moses, der weiß, dass er das Land nur von Ferne sehen kann, es selber aber nie betreten wird, hebt zu seiner Abschiedsrede an. Diese Abschiedsrede, in der Moses das Geschehene noch einmal Revue passieren lässt, aber auch Neues berichtet, was vorher noch nicht geschrieben stand, ist der Inhalt des 5. Buch Moses „Dewarim“, das wir an diesem Schabbat beginnen zu lesen.

Gleichzeitig ist dieser Schabbat auch ein Besonderer, denn er trägt die Zusatzbezeichnung „Chason“ und verweist somit auf das erste Wort des Prophetenabschnitts für diesen Schabbat. Und dieser Schabbat ist der letzte vor dem 9. Aw, der den Grund für diese Zusatzbezeichnung darstellt.

Am 9. Aw  erinnern wir uns an die Zerstörung des 1. und 2. Tempels in Jerusalem, sowie andere schreckliche Ereignisse, die dem jüdischen Volk im Lauf der Geschichte widerfuhren.

Es stellt sich nun die Frage, ob es vielleicht einen Zusammenhang zwischen unserem Wochenabschnitt und dem 9. Aw gibt?

Es ist nicht verwunderlich, dass Kommentatoren durch die Jahrhunderte hinweg einen Zusammenhang feststellen konnten. So gibt es den Brauch, einen Vers unseres Abschnitts mit einer anderen Melodie vorzutragen. Es handelt sich dabei um eben die Melodie, mit der am 9. Aw auch das Buch der Klagelieder „Ejcha“ vorgetragen wird. Dort heißt es im Kapitel 1 Vers 12:

„Wie soll ich allein die Mühe und Last, die ihr mir macht, und eure Streitigkeiten ertragen?“

Das erste Wort dieses Verses, „Wie“, auf Hebräisch „Ejcha“, ist dasselbe Wort, mit dem auch das Buch der Klagelieder „Wie sitzt einsam die Stadt“ beginnt.

Aber gibt es eine über diese Wortgleichheit hinausgehende, tiefere Bedeutung?

Rabbiner Josef Josel Horowitz sagt, was uns dieser Vers lehrt: Wer glaubt, dass er sich der Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen kann und meint, sich das Leben damit einfacher zu machen, dem sei gesagt, dass einer Person erwiesenermaßen ein schlimmer Zustand droht, nämlich: Wurzellosigkeit und Einsamkeit; denn so heißt es im Buch der Klagelieder: Wie sitzt einsam die Stadt .

Moses selber hat sich nie vor Verantwortung gedrückt. Er glaubte, dass er nicht würdig sei, die ihm von Gott zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Als der Ewige jedoch keinen Zweifel an seiner Entscheidung zuließ, hat er diese Aufgabe übernommen.

Wie viele jedoch sind nicht bereit, überhaupt Verantwortung zu übernehmen, in der Hoffnung, andere würden dies schon tun. Wenn wir uns nur um uns selber kümmern, ohne die Gemeinschaft im Blick zu haben, werden wir nicht nur vereinsamen oder unsere Wurzeln verlieren, sondern es ist einem auch egal, was in der Gesellschaft insgesamt passiert. Die Folgen dieses Egoismus sind besonders dramatisch für den Bereich, über den unser Vers spricht. Denn unser Vers spricht von der Einsetzung eines Rechtssystems. Was passieren kann, wenn wir uns nicht mehr für Gerechtigkeit interessieren, lehrt der 9. Aw. Wenn es kein allgemeines Streben nach Gerechtigkeit mehr gibt, kann es schnell zu sinat chinam – grundlosem Hass kommen. Dieser war, so unsere Weisen, der Grund für die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Als Warnung vor den Folgen egoistischen Verhaltens ist es deshalb mehr als angebracht, dass unser Vers mit der traurigen Melodie des 9. Aw, vorgetragen wird.

Schabbat Schalom

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Norddeutschen Rundfunks, dort gesendet am 16.7.2010.

28.07.2018 Artikelarchiv >>
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