hauptmotiv

BEHAR SINAI

Zwölf Monate Pause

Wie praktikabel ist das Schabbatjahr? Fragen an eine halachische Institution

Auslegung von Rabbiner Rothschild

Schmitta – ein Schabbat für das Land? Ein Schabbat, der ein ganzes Jahr dauert? Wie kann man sich so etwas vorstellen? Das hört sich mehr als idealistisch an, es klingt naiv und sogar gefährlich. Menschen, die wirklich mit Landwirtschaft zu tun haben, wissen, dass es unmöglich ist, einfach nichts zu tun. Die Tiere müssen gefüttert und getränkt werden, sie müssen vor Gewitter, vor Wölfen und Füchsen geschützt werden. Das Vieh kennt keinen rituellen Kalender: Eine Kuh gibt auch am Schabbat Milch, und Hühner legen sogar an Jom Kippur Eier. Tiere haben ihre Brunftzeiten, sie möchten sich paaren. Darauf zu verzichten, nur weil gerade ein Schabbatjahr ist, wird ihnen nicht gefallen.

PLÜSCHTIERE

Ein Bauernhof ist nichts für Kinder, die gern mit Plüschtieren spielen. Es geht um echte Lebewesen. Man kann ihn nicht einfach für zwölf Monate abschalten. Die Pflanzen leben nach einer anderen Art und Weise, sie geben ihre Saat ab, ganz gleich, ob der Bauer sie nutzt oder nicht, aber viele Arten müssen jedes Jahr neu gepflanzt werden.

Im 3. Buch Moses 25 wendet sich Gott plötzlich an Mosche: »Sprich zu den Kindern Israels und sage ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so soll das Land einen Schabbat dem Ewigen feiern. Sechs Jahre darfst du dein Feld bestellen, sechs Jahre deinen Weinberg verschneiden und den Ertrag einsammeln. Das siebente Jahr aber soll für das Land ein hoher Schabbat sein, ein Schabbat dem Ewigen: Dein Feld darfst du nicht bestellen, deinen Weinberg nicht beschneiden«. Dann sagt er weiter: »Was das Schabbatjahr des Landes bringt, sei euch zum Essen, für dich, deinen Knecht ... auch für dein Vieh und das Wild in deinem Lande sei all sein Ertrag zum Essen«.

Das ist wirklich merkwürdig. In der Schöpfungsgeschichte war nicht die Rede von einem Schabbat für die Welt. Gott sagt dort nicht, dass einmal pro Woche auch Sonne und Mond zur Ruhe kommen würden oder die Erde Ihn preisen solle. Als diese Worte kommen, ist Mosche noch auf dem Berg Sinai, und die Israeliten haben das Land noch nicht erreicht, doch schaut man schon nach vorn.

Aber Moment! Wenn alle, Mensch und Tier, nur das essen dürfen, was von selbst wächst, ohne dass wir dafür etwas tun müssen, warum soll man dann überhaupt noch arbeiten? Wenn wir Menschen genug essen können, ohne dass die Bauern schuften müssen – warum sollen sie dann so früh aufstehen und bei jedem Wetter pflügen, säen und ernten? Irgendetwas stimmt hier nicht.

Wir können ja daraus viele schöne ethische und rabbinische Lehren ziehen, zum Beispiel, dass unser Land Gott gehört und wir nur die Pächter sind, oder dass das Land den Wechsel braucht zwischen Weide und Ackerbau, damit die Erde gesund bleibt. Oder man könnte daraus lernen, dass es ein Zeichen des Vertrauens in Gott war zu einer Zeit, da man Lebensmittel noch nicht jahrelang aufbewahren konnte. Gegen diese Lehren ist nichts einzuwenden. Doch: Wie kann man ein solch unrealistisches und unpraktisches Gesetz durchsetzen?

Und wenn man keine Ernte hat, wie kann man im siebten Jahr Pessach, Schawuot oder Sukkot feiern? Wie soll man von den neuen Früchten Opfer bringen oder frische Etrogim finden? Es wird behauptet, der Ertrag des sechsten Jahres werde für zwei Jahre reichen, wie das Man in der Wüste am sechsten Tag als doppelte Portion vom Himmel fiel. Was aber, wenn dem nicht so ist, wenn es im sechsten Jahr zu viel oder zu wenig regnet?

Damit die Welt nicht hungert, haben die Rabbiner entschieden, dass dieses Gesetz nur für das Land Israel relevant ist und nicht für die Diaspora gilt. Außerdem dürfen Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden. Man geht sogar so weit, das Land zeitweise an Nichtjuden zu verkaufen, damit sie es während des Schabbatjahrs weiterbearbeiten.

STEINBRÜCHE

Wie soll man dieses Gesetz heute verstehen? Inwieweit ist es relevant? Betrifft es nur die Landwirtschaft? Oder sollen auch Fabriken jedes siebte Jahr schließen, damit die Arbeiter ein Ruhejahr haben? Was ist mit dem Bergbau? Dort wird Arbeit nicht auf, sondern unter der Erde verrichtet. Und wer soll das alles bezahlen? Was werden die Menschen essen, wenn sie nicht arbeiten? Der biblische Text geht davon aus, dass alle Israeliten in der Landwirtschaft arbeiten – nicht in Steinbrüchen oder auf See und schon gar nicht in großen Städten, in Büros oder in Labors.

Ich wohne mitten in einer Stadt. Sonntags fahren kaum Autos auf unserer Straße, da ist die Luft viel sauberer als unter der Woche. Da sieht man den Einfluss nicht nur auf Menschen, sondern auch auf die Umwelt: weniger Lärm und Feinstaub. Die Atmosphäre erholt sich, reinigt und erfrischt sich. Wenn alle Schornsteine regelmäßig aufhörten, hätte das sicher auch Folgen für Mensch und Umwelt. Aber wie ließe sich das zwölf Monate lang durchhalten?

Es ist in vielen akademischen Kreisen und teilweise auch unter Rabbinern üblich, dass man sich gelegentlich ein Sabbatical erlaubt, eine Auszeit. Da ist man frei von den üblichen Pflichten, kann sich geistig erholen, sich vielleicht einem persönlichen Forschungsprojekt widmen, ein Buch schreiben oder sich weiterbilden. Die Idee basiert auf diesen Versen – aber nicht jeder Arbeitgeber respektiert sie.

Es gibt mehrere solcher schwierigen Stellen in der Tora. Und im 3. Buch Moses 26, 27–41 werden wir vor furchtbaren Konsequenzen gewarnt, falls wir nicht gehorchen und das Schabbatjahr nicht halten. Oj. Was auf den ersten Blick so interessant und positiv erscheint, wird, näher betrachtet, zu einen komplizierten und unhaltbaren Politikum. Aber zumindest kann man sagen: Toralesen wird nie langweilig.


Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 12.05.2011.

16.05.2014 Artikelarchiv >>
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