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House of One: "Man muss auch an Wunder glauben!"

Rabbiner Andreas Nachama über Deutschlands spektakulärstes Gotteshaus: Das House of One soll Synagoge, Moschee und Kirche vereinen – und zeigen, wie Frieden funktioniert.

Interview von Evelyn Finger in DIE ZEIT, 27. Mai 2021 Nr. 22/2021

DIE ZEIT: Herr Rabbiner, wir möchten von Ihnen wissen, warum das Befrieden von Konflikten so schwierig ist. Bitte geben Sie uns doch ein Beispiel, womit Sie selbst als Friedensstifter gescheitert sind – und was Sie daraus gelernt haben.

Andreas Nachama: Vor dem Mauerfall war ich Militärseelsorger für die US-Armee in Berlin. Als die Amerikaner 1994 abzogen, wollten wir das Haus Chaplain Center, in dem unter einem Dach zwei Kirchen und eine Synagoge waren, gemeinsam mit den katholischen Kollegen weiterbetreiben. Das scheiterte aber, weil wir uns mit der Kirche nicht einigen konnten. Unsere konservativen katholischen Partner, die wohl zum Teil mit den Pius-Brüdern verbandelt waren, standen mit dem Fuß auf der Bremse und hatten auch noch die Handbremse angezogen. Im Nachhinein weiß ich immer noch nicht, was wir von jüdischer Seite hätten besser machen können. Aber ich habe gelernt: Einigkeit lässt sich nicht erzwingen.

ZEIT: Mittlerweile sind Sie Stiftungsratsvorsitzender des House of One, des wohl spektakulärsten Sakralneubaus dieser Republik: Zum ersten Mal werden eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche im selben Gotteshaus vereint. Wie ist Ihnen das gelungen?

Nachama: Der Pfarrer Gregor Hohberg hatte die zündende Idee, an einem Ort, wo 750 Jahre lang die älteste Kirche Berlins stand, einen spirituellen Raum zu schaffen, der Juden, Christen und Muslime zusammenbringt – auch mit anderen Gläubigen und mit Säkularen. Es soll ein Haus des gegenseitigen Respekts werden. Zum Respekt vor dem anderen gehört aber auch, seine Hinderungsgründe ernst zu nehmen. So wollten wir für das House of One Lottogelder verwenden, nur die muslimische Seite war dagegen. Es dauerte eine Weile, bis die beteiligten Juden und Christen verstanden, woran es lag: Wetten sind nicht halal. Deshalb konnte der Imam gar nicht Ja sagen. Mit diesem Beispiel will ich illustrieren: Wenn man sich auf etwas wirklich Großes einigen will, muss man offene Ohren dafür haben, was die jeweils andere Seite bewegt. Ein echtes Miteinander funktioniert nur, wenn alle Beteiligten es wollen – und auch verantworten können.

ZEIT: Sie selbst sind Chef der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland, eines liberalen Dachverbandes. Ihr muslimischer Partner, der Imam Kadir Sanci, kommt aus der Hizmet-Bewegung, besser bekannt als Gülen-Bewegung. Wer beim House of One offenbar nicht mitmachen wollte, waren die großen Islamverbände. Warum?

Nachama: Es ist geht nicht darum, wer am Anfang nicht mitmacht, sondern wer etwas wagt. So wie die Ostpolitik von Willy Brandt mit kleinen Schritten gegen großen Widerstand begann, werden auch wir mit Gottes Hilfe Zuspruch von denen bekommen, die sich augenblicklich noch nicht auf uns einlassen.

ZEIT: Das House of One entsteht für 43 Millionen Euro in Berlin-Mitte, wo die DDR 1963 die Ruine der kriegsbeschädigten Petrikirche schleifte. Gab es bei dem Friedensprojekt jemanden, der Sie durch diplomatisches Geschick beeindruckt hat?

Nachama: Tatsächlich unser evangelischer Partner, Pfarrer Hohberg von der Gemeinde Sankt Petri und Sankt Marien. Er ruht nicht, bis alle Schwierigkeiten einmal laut ausgesprochen sind und jedermann erleichtert sagen kann: Jetzt ist es raus! Wenn einer mauert, dann schafft Hohberg es durch kluges Nachfragen, herauszufinden, warum.

ZEIT: Ist es in der Religion eigentlich leichter als in der Politik, Trennendes zu benennen? Als das Auswärtige Amt zum Treffen "Friedensverantwortung der Religionen" einlud, konnte man nur staunen, wie konsequent sogar kriegerische Konflikte beschwiegen wurden.

Nachama: Das Auswärtige Amt ist eben kein Ort, um Konflikte anzusprechen. Im Gegenteil: Diplomatie konzentriert sich immer auf Gemeinsamkeiten. Schon beim Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete, war das so. Die Gesandten aus 50 Ländern waren damals nur erfolgreich, weil sie den größten gemeinsamen Nenner suchten. Unser House of One kann keine politischen Konflikte lösen. Aber wir wollen zeigen, was Christen, Juden und Muslime verbindet.

ZEIT: Bitte verzeihen Sie, aber das klingt etwas wohlfeil in Zeiten, da der "interreligiöse Dialog" längst zum Standard gehört.

Nachama: Mein erstes jüdisch-christlich-muslimisches Begegnungsseminar war schon 1972. Trotzdem müssen wir noch viel voneinander lernen. Im Frühstücksfernsehen hieß es neulich, alle Synagogen seien nach Osten, also nach Jerusalem ausgerichtet. Falsch! Wenn Sie von Berlin aus nach Osten gehen, kommen Sie vielleicht in Moskau raus, aber gewiss nicht in Jerusalem. Gemeint ist in Wahrheit das himmlische Jerusalem, das dort liegt, wo das Licht herkommt, ex oriente lux – doch dieser Osten ist mehr als eine Himmelsrichtung. Gleiches gilt für Muslime und Christen, deren Gotteshäuser auch geostet beziehungsweise nach Mekka ausgerichtet sind.

ZEIT: Am Pfingstsonntag haben Sie mit Pfarrer Hohberg und Imam Sanci einen gemeinsamen Gottesdienst gefeiert. War das liturgisch schwierig?

Nachama: Nein, überhaupt nicht! Es war eine christliche Feier, der Imam und ich waren Gäste. Ähnlich haben wir es schon in der Moschee und in der Synagoge gehalten. Wir besetzen gottesdienstliche Elemente gern dreifach, etwa die Begrüßung, die Ansprache, die Verabschiedung. Diesmal kam Psalm 118 doppelt vor, einmal als Kirchenlied und einmal als auf Hebräisch gesungenes Gebet. Man muss nur aufpassen, dass es nicht zu lang wird.

ZEIT: Bei interreligiösen Gottesdiensten wirken die Gäste der anderen Konfessionen oft wie politisch korrektes Beiwerk. Bei Ihnen dreien nicht.

Nachama: Ich gebe zu, wir tauschen uns seit Jahren über Liturgie aus. Wir haben den Ton des anderen im Ohr und ahnen, was er sagen will. Mein erstes gemeinsames Gebet mit Kadir Sanci zu einem Jahrestag von 9/11 war da sicher noch unbeholfener.

ZEIT: Zu Pfingsten sprachen Sie in der Petrikirche über den Turmbau zu Babel.

Nachama: Der passt ja zur Grundsteinlegung wie die Faust aufs Auge. Denn die Geschichte vom gescheiterten Turmbau und von der babylonischen Sprachverwirrung lehrt uns: Gott will in unterschiedlichster Weise angesprochen werden. Gottes Haus ist die Welt, sie soll ein Bethaus werden für alle Völker. In den Psalmen heißt es: "Siehe, wie schön und lieblich ists, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen!"

 

Interview von Evelyn Finger in DIE ZEIT, 27. Mai 2021 Nr. 22/2021



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