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Kommt Pessach, kommt die Erinnerung, kommt: Freiheit!

von Rabbiner Andreas Nachama 

Zum Gedenken an den Auszug aus Mizrajim: Neben der Erinnerung an das Schöpfungswerk und des „Erinnerns“ an den Schabbat – so das im 2. Buch Mose formulierte Schabbatgebot – ist der Seder ein kleines Gesamtkunstwerk jüdischer Erinnerungsarbeit, nicht nur im Text, sondern auch mit seinen Liedern und mit Speisen, die symbolisch ganz wunderbar aufgeladen sind. Wir schmecken die Beschwernis und das Leid der versklavten Israeliten auf unserer Zunge, feiern aber ja auch die „starke Hand“ nicht irgendeines Politikers, sondern die unser aller Vater im Himmel. Wer sich nicht auf dieses Erinnern am Seder und zu Pessach einlässt, ist nicht befreit. 

 • Wer seine Wohnung nicht von Chamez – von gesäuerten Rückständen des vergangenen Vegetationsjahres – befreit, der bleibt auf dem Alten sitzen, kann sich von den Rückständen nicht befreien, ist also ein Messie im übertragenen Sinn. 

 • Wer sich nicht vorstellen kann oder will, was es in Mizrajim hieß zu schuften, der hat keine Hoffnung auf Freiheit: Schabbes halten ist eine wöchentliche Vorstellung von Freiheit. Pessach le‘atid, das Pessach der Zukunft am letzten der acht Pessachtage, gibt uns einen Vorgeschmack unserer Befreiung aus den Beschwernissen unserer Gegenwart: es kommt der Tag, wo der Löwe zufrieden neben dem Lamm sitzt und nicht alle Stunde ein neues Lamm für das so friedliche Bild nachgelegt werden muss.

 • Wer sich nicht erinnern kann oder will, wird sich nicht vorstellen können, was es vor 75 Jahren – Pessach 1946 – für die Überlebenden der Schoa bedeutet hat: der erste Seder in Freiheit. Wie Rabbiner Robert Raphael Geis das in dem Vorwort einer von der Jüdischen Allgemeine Anfang der 1950er Jahre herausgegebenen Haggada formuliert hat: „Hätte in den Jahren der Verfolgung einer behauptet, in diesem Land würde jemals wieder eine Haggada herausgegeben werden, man hätte ihm nicht geglaubt. Dass es nun doch sein kann, mutet uns an wie ein Wunder, wie ein Triumph des Lebens über den Tod.“ 

In diesem Jahr ist es aber doch nochmals anders: Wie im vergangenen Jahr werden wir keine großen Sedarim in unseren Gemeinden abhalten können; wer weiß, wie wenige auch in den Familien zusammenkommen dürfen, denn die Corona-Pandemie stellt unsere Welt auf den Kopf. Ist es normalerweise eine Mizwe, darauf zu achten, dass möglichst keiner oder keine an den Sederabenden allein oder nur zu zweit bleibt, und bitten wir ansonsten Gäste an unseren häuslichen Tisch oder versuchen möglichst viele in den Festsälen unserer Gemeinden zusammenzubringen, so ist es auch in diesem Jahr aller Voraussicht nach noch einmal ganz anders: Unter der Überschrift pikuach nefesch werben wir dafür, möglichst wenige soziale Kontakte wahrzunehmen, um den Viren das Überspringen von einer Person zur nächsten zu verhindern. Plötzlich werden Skype oder Zoom zu „sozialen Medien“, die Einzelne oder Kleingruppen mit denen verbinden, die „Gastgeber“ für solch einen virtuellen Seder sind. Und doch erinnern wir uns auch dieses Jahr an den Auszug aus Mizrajim, und doch essen wir in der Pessachzeit nicht Chamez, sondern Mazza – und alles, was koscher le‘Pessach ist: Das ist ein großes Privileg, gesund oder wieder gesund zu sein, zu wissen, dass unsere Liebsten gesund sind – und dass wir – in Gedanken verbunden – ja, etwas eingeschränkt in unseren Freiheiten, aber doch in Freiheit in Gedanken oder über soziale Medien verbunden, Pessach feiern dürfen. Dabei sollen wir aber all die nicht vergessen, die in diesen Tagen in Krankenhäusern als Pflegende und Behandelnde rund um die Uhr Leben retten, oder diejenigen, die die Pandemie getroffen hat: Möge ER sich ihrer erbarmen und sie an Körper und Seele vollkommen heilen. Allen anderen sei an dieser Stelle gewünscht: Bleibt gesund und von IHM behütet! 

Chag Pessach kascher we‘sameach!

 

 



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