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Neue Rabbinerin in Hameln

Vor zwanzig Jahren wurde die liberale Gemeinde in Hameln neu gegründet. Vor fünf Jahren bezog sie ihre neue Synagoge, genau an der Stelle, wo die Nationalsozialisten die alte Hamelner Synagoge niederbrannten. Die Geschicke der jüdischen Gemeinde in Hameln wurden vor allem durch Frauen bestimmt. Eine Amerikanerin und eine Frau aus der ehemaligen Sowjetunion gründeten die Gemeinde 1997, eine in Israel geborene und heute in England lebende Rabbinerin leitete für eineinhalb Jahrzehnte die Gemeinde und eine Ostberlinerin, die erst kürzlich zur Rabbinerin ordiniert wurde, leitet nun die liberale, jüdische Gemeinde in Hameln.

Ordiniert am Union College in Jerusalem

„Hameln ist in der jüdischen Welt vor allem durch eine Frau bekannt – durch Glückel von Hameln – das finde ich ganz wichtig, weil Judentum, vor allem traditionelles Judentum, immer als männlich geprägt wahrgenommen wird und auch in Deutschland Rabbinerinnen noch eine Seltenheit sind“, sagt die Berlinerin Ulrike Offenberg. Sie ist erst seit wenigen Tagen in der liberalen jüdischen Gemeinde Hameln als neue Rabbinerin tätig. Im November vergangenen Jahres wurde Offenberg am renommierten hebräischen Union College in Jerusalem ordiniert. Dort schloss sie als eine der wenigen nicht-israelischen Staatsbürgerinnen ihre Ausbildung ab, die sie einst am Abraham Geiger Kolleg in Berlin und Potsdam begann. Ihre rabbinische Abschlussarbeit hat Ulrike Offenberg über das sogenannte „Achtzehnbittengebet“ geschrieben, ein wichtiges Element im jüdischen Gottesdienst. Schon während ihres Studiums in Jerusalem engagierte sich Offenberg in der Gruppe „Women of the Wall“, einer Initiative, die sich für gleiche religiöse Rechte für Frauen an der Klagemauer einsetzt, zum Beispiel einen Gebetsschal zu tragen oder aus der Thora zu rezitieren, was im traditionellen Judentum den Männern vorbehalten ist.
„Ich finde es wichtig, dass wir in Hameln als Frauen diese Arbeit machen und so zeigen, dass es nicht eine reine Männerdomäne ist“, sagte sie kurz nach ihrer Amtseinführung in der Hamelner Synagoge. Die studierte Historikerin und Mutter dreier Kinder sieht sich in der niedersächsischen Stadt in einer gewissen Tradition, denn auch Glückel von Hameln war eine erfolgreiche jüdische Frau. Im frühen 18. Jahrhundert verfasste sie als Kauffrau eine Autobiographie, die bis heute als herausragende Quelle für die Geschichte der deutsch-jüdischen Kultur gilt. Ihr jiddischer Text zeigte schon damals die Schwierigkeiten der jüdischen Emanzipation und Integration in Deutschland auf und ist nicht nur Rabbinern vertraut.
Die Aufbauarbeit einer Gemeinde ist in Hameln bereits erledigt. Hier haben Ulrike Offenbergs Vorgängerin, Rabbinerin Irit Shillor, sowie Frauen wie die US-Amerikanerin Rachel Dohme oder Polina Pelts, die 1992 aus der ehemaligen Sowjetunion mit ihrer Familie nach Deutschland kam, Hervorragendes geleistet, wie es Ulrike Offenburg freimütig würdigt: „Die Gemeinde ist vor 20 Jahren aus dem Nichts entstanden und wurde von ein paar Flüchtlingen und ein paar hier lebenden Juden begründet und dann wurde hier sogar eine neue Synagoge gebaut – all das ist etwas, wo ich fast ins fertig gemachte Nest komme.“
Rachel Dohme ist die Vorsitzende des Gemeinderates der liberalen jüdischen Gemeinde in Hameln. Die studierte Sonderpädagogin kam vor über 30 Jahren von Pennsylvania aus einer konservativen jüdischen Gemeinde in den USA nach Deutschland und berichtet, wie sie damals Irit Shillor aus London nach Hameln holte: „Wir haben beim Leo Beck College angefragt, ob Rabbinerstudenten uns unterstützen könnten und dann kam Irit Shillor kurz vor ihrer Ordination zu uns.“ Nach ihrer Smicha, also der Ordination, „war sie dann bereit, einmal im Monat zu uns gekommen, seit 15 Jahren, unsere fliegende Rabbinerin“, erzählt Rachel Dohme, die durch Heirat mit einem deutschen Unternehmer ins Weserbergland kam.
Auch für die 1950 in Jerusalem geborene Irit Shillor war der Weg zum geistlichen Amt im Judentum nicht vorgezeichnet. Ihr Vater kam aus Ungarn und ihre Mutter aus Wien, beide lernten sich 1939 auf dem Gebiet des heutigen Staates Israel kennen und heirateten später auch dort: „Ich bin in Israel säkular groß geworden“ erklärt sie. Dennoch „haben wir die Bibel dreimal mindestens durchgelesen und wir haben Talmud studiert und selbstverständlich jüdische Geschichte, jüdische Rituale und die Feste gefeiert – auch in einer säkularen Schule“, sagt sie rückblickend. Als die studierte Mathematikerin später mit ihrem Mann und zwei Töchtern nach England ging, wo sie bis heute lebt, war ihr die Einbindung ihrer Kinder in eine jüdische Gemeinde wichtig. So kam Irit Shillor wieder mit der jüdischen Religion stärker in Berührung. Weil sie hebräisch konnte, las sie aus der Thora und fing noch einmal am Leo Baeck College in London mit dem Rabbinats-Studium an, zu einem Zeitpunkt, als bereits ihre jüngste Tochter selbst als Studentin an der Uni war. Später wirkte sie in der liberalen jüdischen Gemeinde in Wien und anschließend bis Ende November 2016 in Hameln als Rabbinerin. „Ich bin sehr stolz, dass ich hier in Deutschland beim Aufbau des jüdischen Gemeindelebens helfen konnte“, sagt rückblickend Rabbinerin Irit Shillor, obwohl es „für Menschen wie mich, die in Israel aufgewachsen sind und viele Angehörige hatten, die in der Shoa ermordet wurden, nicht immer leicht war, in Deutschland zu arbeiten. Aber ich glaube es ist so wichtig, weil das bedeutet: Hitler hat nicht gewonnen …“
In der Zeit des Rabbinats von Irit Shillor kam auch die Idee und später die Umsetzung des Synagogen-Neubaus in Hameln auf. Seit fünf Jahren steht dieser Bau am historischen Ort. Irit Shillor: „Die Idee kam von Rachel Dohme. Sie ist herumgefahren in Amerika und hat Geld dafür gesammelt, denn sie wollte unbedingt die Synagoge an dem Platz bauen, wo die alte 1938 zerstörte Synagoge stand.“ Die besondere architektonische Form, ein Oval, der vor fünf Jahren eröffneten und zu je einem Drittel von der jüdischen Gemeinde, der Stadt Hameln und dem Land Niedersachsen finanzierten Synagoge, ist auch Zeichen für den Neubeginn. „Die Eiform ist für unsere Gemeinde sehr symbolreich, weil unsere Gemeinde auch erst wiedergeboren werden müsste – das passt einfach zu uns“, sagt Rachel Dohme. Den Namen dieses ersten Neubaus einer liberalen Synagoge in Deutschland in der Nachkriegszeit „Beitenu – Unser Haus“ – haben die Mitglieder aus zehn Vorschlägen ausgesucht. „Es ist wirklich mein Zuhause“, ergänzt die fast 80-jährige Polina Pelts aus dem Vorstand der Gemeinde, die zusammen mit Rachel die jüdische Gemeinde in Hameln aufbaute. „Ich habe in meinem Leben kein eigenes Haus gebaut und bin immer sehr traurig, wenn ich einmal keinen Termin hier habe. Ich muss einfach jeden Tag hier sein“, sagt die rüstige Seniorin.
Die neue Rabbinerin gilt als konservativ
Ihre neue Rabbinerin Ulrike Offenberg aus Berlin lobt Rachel Dohm als „sehr, sehr engagiert“, aber sie weiß dennoch, sie wird einiges anders machen. „Wo Irit sehr liberal war, ist Ulrike etwas mehr konservativ, zum Beispiel ihre Art, einen Gottesdienst oder den Unterricht zu leiten – das ist etwas traditioneller. Doch das ist die Freiheit des Judentums und besonders des liberalen Judentums, weil dort Raum für alles da ist.“

die tagespost.de/ epd

Ulrike Offenberg wurde am 2. Dezember 2016 in der Synagoge in Hameln feierlich in ihr neues Amt eingeführt. Gleichzeitig verabschiedete die liberal ausgerichtete Gemeinde ihre bisherige Rabbinerin Irith Shillor, die bisher aus Großbritannien anreiste, um Gottesdienste zu leiten.
Bereits zwei Wochen zuvor wurde Ulrike Offenberg am renommierten Hebrew Union College in Jerusalem zur Rabbinerin ordiniert. Sie hat dort als einzige Nicht-Israelin im gesamten Studiengang ihre Ausbildung abgeschlossen.
Die jüdische Gemeinde in Hameln umfasst nach eigenen Angaben etwa 200 Mitglieder. Vor fünf Jahren hat sie als erste liberale Gemeinde in Deutschland einen Synagogen-Neubau eröffnet. Ein hoher Anteil der Juden in Hameln stammt aus Ländern der früheren Sowjetunion. Ulrike Offenberg kann sich mit den meisten von ihnen in deren Muttersprache unterhalten: Ihr Russisch sei zwar nicht gut genug für Unterricht oder Predigten, erfülle aber seinen Zweck für die Seelsorge.
Ulrike Offenberg, Mutter dreier Kinder, ist in Ost-Berlin geboren und in der DDR aufgewachsen. Ihre rabbinische Abschlussarbeit hat sie über das Achtzehnbittengebet geschrieben, ein Kernstück des jüdischen Gottesdienstes. Während ihres Studiums in Jerusalem engagierte sich Offenberg in der Gruppe »Women of the Wall«. Die Initiative setzt sich für gleiche religiöse Rechte von Frauen an der Klagemauer ein, etwa das Recht, einen Gebetsschal zu tragen oder aus der Tora zu rezitieren. Im traditionellen Judentum sind diese Tätigkeiten Männern vorbehalten.

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