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„tief besorgt"

Nach Auffassung von Rabbinern und Vertretern beider Kirchen nimmt mit den Flüchtlingen auch der Antisemitismus und Fremdenhass zu. Dagegen wollen sie gemeinsam vorgehen.

Rabbiner und Vertreter der beiden großen Kirchen wollen Fremdenhass und Antisemitismus gemeinsam entgegentreten. Sie seien „tief besorgt“ über die Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt in den vergangenen Monaten, erklärten die Deutsche Bischofskonferenz, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Allgemeine sowie die Orthodoxe Rabbinerkonferenz am Montag in Hannover (7.3.16). Zugleich würdigten sie bei ihrem Treffen den christlich-jüdischen Dialog.
Der stellvertretende Bischofskonferenzvorsitzende Bischof Norbert Trelle hob die hohe Bedeutung des Asylrechts hervor, „das einem Menschen nicht mit dem Hinweis auf eine willkürlich festgelegte Obergrenze versagt werden kann“. Zudem kritisierte er die Flüchtlingspolitik der EU als „nicht handlungsfähig“. Es sei „schwer nachzuvollziehen, warum es eine der wirtschaftlich stärksten und wohlhabendsten Regionen der Erde mit fast 500 Millionen Einwohnern überfordern soll, eine Million der Flüchtlinge aufzunehmen.“
Mit Blick auf die Befürchtungen der jüdischen Gemeinden vor einer Zunahme des Antisemitismus versicherte Trelle, dass „die katholische Kirche auch weiterhin im Kampf gegen jede Form von Antisemitismus an der Seite der jüdischen Gemeinschaft stehen wird“.
Rabbiner Andreas Nachama von der Allgemeinen Rabbinerkonferenz wandte sich gegen jede Form von Diskriminierung: „Juden sind ein Teil Europas. Antisemitismus hat hier sowenig Platz wie antiislamische Vorurteile.“ Ebenso fragwürdig sei es, „Flüchtenden von heute, die aus arabischsprachigen Ländern kommen, eben mal so generell Antisemitismus oder anti-christliche Haltungen zu unterstellen“. Rabbiner Arie Folger von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz betonte „die grundsätzliche Würde aller Menschen“. Diese dürfe nicht vergessen werden.
Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, wies darauf hin, bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch die Anstrengungen außereuropäischer Länder zu würdigen. Gerade die Nachbarstaaten Syriens, aber auch afrikanische Länder nähmen eine hohe Zahl an Flüchtlingen auf.
Am Sonntag hatte der Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Hannover die diesjährige „Woche für die Brüderlichkeit“ unter dem Motto „Um Gottes Willen“ gestartet. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung erhielt der jüdische Publizist Micha Brumlik die Buber-Rosenzweig-Medaille. (kna/dtj)


Jüdische Allgemeine, 10.3.2016

Woche der Brüderlichkeit
Öffentliche Reden, interne Diskussionen

von Ayala Goldmann

Rabbiner und Bischöfe berieten in Hannover über die Integration von Flüchtlingen


Repräsentanten des Christentums und des Judentums wollen sich gemeinsam gegen Fremdenhass und für die Integration von Flüchtlingen, zugleich aber auch gegen Antisemitismus einsetzen.

Das erklärten evangelische und katholische Kirchenvertreter sowie Mitglieder der Allgemeinen und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ARK und ORD) am Montagabend in Hannover bei einer öffentlichen Veranstaltung zur »Woche der Brüderlichkeit«. Zuvor hatten Rabbiner und Bischöfe mehrere Stunden intern zum Thema Integration beraten. Wie zu vernehmen war, verliefen die Diskussionen lebhaft, zum Teil auch kontrovers.

Hilfe

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, betonte bei der öffentlichen Veranstaltung, die deutsche Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme von Flüchtlingen werde international aufmerksam wahrgenommen. »In allen Ländern, in denen ich in jüngster Zeit unterwegs war, habe ich Anerkennung und Hochachtung für die großzügige Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland gehört«, sagte der bayerische Landesbischof. Darüber hinaus betonte Bedford-Strohm, bei der Aufnahme von Flüchtlingen müsse der Blick über Europa ausgeweitet werden. Er sei dankbar dafür, dass die Religionsgemeinschaften Deutschlands in der Flüchtlingsfrage »große Gemeinsamkeiten« hätten.

In seiner Begrüßung sagte Arie Folger von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, derzeit Rabbiner in Karlsruhe und zukünftiger Oberrabbiner in Wien, dass »jeder Mensch im Ebenbilde Gottes erschaffen wurde und in gesellschaftlichen Diskussionen über die Asylpolitik die grundsätzliche Würde aller Menschen nicht vergessen werden darf«. Die zunehmende Gewaltbereitschaft von Teilen unserer Gesellschaft untergrabe »den gesellschaftlichen Frieden und erfüllt uns mit Besorgnis«, so Folger. Explizit warnte er vor Rechtsextremisten, aber auch vor Dschihadisten. Dass (etwa wie im Sommer 2014 bei Demonstrationen gegen Israel) Parolen wie »Juden ins Gas« geschrien würden, dürfe nicht geduldet werden, unterstrich Folger.

Es reiche aber nicht, berechtigte Ängste zu kommunizieren: »Wie viele meiner Kollegen bin auch ich im jüdisch-muslimischen Dialog aktiv«, berichtete er. Gemeinsam mit einem Imam wolle er in einem Flüchtlingsheim Workshops zum Thema »Integration in der pluralistischen Gesellschaft« durchführen. Außerdem betonte der orthodoxe Rabbiner: »Wir verpflichten nicht alle Familien, ihre Kinder sexuell freizügig zu erziehen. Ich glaube, dass viele der heute anwesenden religiösen Würdenträger sogar mehr Biederkeit, Bescheidenheit und Zurückhaltung empfehlen würden. Doch kann es nicht sein, dass andersdenkende Mädchen beleidigt, genötigt oder mit Gewalt eingeschüchtert werden.«

Hugenotten

Der liberale Berliner Rabbiner Andreas Nachama erinnerte an den Zuzug der Hugenotten nach Deutschland im 17. Jahrhundert und die jüdische Einwanderung nach Israel. Integration sei keine neue Herausforderung: »Jüdische Gemeinden weltweit haben große Erfahrung beim Thema Integration, denn Juden wurden und werden immer wieder aus ihren Heimatländern vertrieben«, sagte er.

Nachama hinterfragte kritisch, ob man Flüchtlingen aus arabischen Ländern »eben mal so generell Antisemitismus oder antichristliche Haltungen« unterstellen dürfe. Dies könne eine unzulässige Verallgemeinerung sein. Er schlug vor, in drei bis vier Flüchtlingsheimen eine repräsentative Erhebung zu erstellen, um zu überprüfen, ob diese Haltungen tatsächlich nachzuweisen seien – bei »fünf oder 50 Prozent« der Befragten: »Dann weiß man, was man zu tun hat.«

Fremdenhass

Der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle, übte scharfe Kritik an Fremdenhass. Trelle plädierte für die Aufnahme von Flüchtlingen mit humanitären Kontingenten in Europa. Gleichzeitig versicherte er, die katholische Kirche werde im Kampf gegen Antisemitismus weiterhin an der Seite der jüdischen Gemeinschaft stehen.

Seit 2006 treffen sich Vertreter der ARK und der ORD mit Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD einmal jährlich zu einem ausführlichen Gespräch. Alle zwei Jahre führen sie gemeinsam mit dem Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine öffentliche Veranstaltung durch.

An den Treffen nahmen unter anderen die orthodoxen Rabbiner Avichai Apel (Dortmund), Julian-Chaim Soussan (Frankfurt/Main), Alexander Kahanovsky, Jona Pawelczyk-Kissin (Heidelberg), die liberalen Rabbiner Henry G. Brandt (Augsburg), Gabor Lengyel (Hannover), Jonah Sievers und Walther Rothschild sowie Masorti-Rabbinerin Gesa Ederberg (alle Berlin) teil. Besucher bemängelten, dass es Vorträge und Reden, aber keine öffentliche Diskussion oder Möglichkeit zur Beteiligung gab.


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