hauptmotiv

Neustart

Neun Gemeinden und Gruppierungen gründen den Jüdischen Liberal-Egalitären Verband (JLEV)

Von Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck

Der Name wird Dschej Leff ausgesprochen. Von den verschiedenen möglichen Akronymen hat diese Kombination – J-L-E-V – bei den Vorgesprächen sofort gegriffen. Sicherlich wegen des kosmopolitischen Klangs und natürlich wegen des jüdischen Herzens, des  – J-LEV.

In JLEV schlägt tatsächlich ein neues Herz. Der Verband versteht sich gerade nicht nur als Zusammenschluss von einigen abtrünnigen Gemeinden, die mit dem Verhalten der Führung in der „Union progressiver Juden“ (UpJ) unzufrieden waren. Sicher, die Kritik gehört mit zur Vorgeschichte und bildete den unmittelbaren Anstoß, wie die Presseerklärung zur Gründung deutlich macht: „Ausgangspunkt waren die öffentlich gewordenen Vorwürfe gegen Rabbiner Walter Homolka.“ In der Auseinandersetzung über die Aufarbeitung dieser Vorwürfe und ihrer strukturellen Hintergründe habe die UpJ „einen befremdlichen Umgang“ gezeigt, indem sie die Vorwürfe „bagatellisiert“ und „relativiert“ und kritische Stimmen von Mitgliedsgemeinden nicht berücksichtigt habe.

Aber das ist nur der eine Teil der Gründungsgeschichte. Der andere Teil ist der konstruktive. Der Blick nach vorn. Die neun Gründungsmitglieder von JLEV setzen als Verband unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland ein Zeichen dafür, dass die Gräben zwischen dem liberalen Judentum und dem sich lange am orthodoxen Judentum orientierenden Zentralrat endgültig der Vergangenheit angehören. In der Gründungsversammlung am 20. April 2023 sagte Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster: »Ich freue mich auf Ihre starke liberal-jüdische Stimme.« Er betonte, dass das liberale Judentum historisch in Deutschland entstanden ist und der Saal, in dem er jetzt, während der Gründungsversammlung sitzt, nach einem der bedeutendsten Vertreter, Leo Baeck, benannt ist. Heute gehe um „Vielfalt in der Einheit“, für Gräben sei keine Zeit, der Kampf gegen den Antisemitismus und die gesellschaftlichen Herausforderungen, die auch das Judentum in der Zukunft betreffen, müssen gemeinsam angegangen werden.

Diese pluralistische Einstellung spiegelt sich auch innerhalb der Zusammensetzung von JLEV. Bewusst versteht sich der Verband als „liberal“ und „egalitär“, wobei das und entscheidend ist. Auf eine institutionelle Engführung allein auf eine einzige Denomination, etwa auf das „progressive“ Reformjudentum oder die „konservative“ Masorti-Richtung wurde bewusst verzichtet, vielmehr der längst existierenden größeren liberalen und egalitären Bandbreite innerhalb der jüdischen Welt Rechnung getragen. So gehört zu den Gründungsmitgliedern auch der „Egalitäre Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a.M.“. Er war nie Mitglied der UpJ, versteht sich als liberal, jedoch nicht denominationsgebunden („non-denominational“) und führt seine Existenz seit nunmehr fast 30 Jahren bewusst innerhalb der Frankfurter „Einheitsgemeinde“. Dort gibt es im großen Synagogengebäude der Westendsynagoge sowohl eine orthodoxe als auch eine liberale Synagoge. Am Schabbat begegnen sich die liberale Rabbinerin (und Autorin dieser Zeilen) mit den orthodoxen Kollegen am Eingang desselben Gebäudes, jedoch auf dem Weg zu ihren jeweiligen eigenen Gottesdiensten.

Aber auch bei den Gemeinden mit gemeinsamer UpJ-Vergangenheit zeigt sich eine beachtliche innere Vielfalt. Vom institutionellen Flakschiff, der „Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R.“, bis zur informelleren „Egalitären Jüdische Chawurah Gescher Freiburg e.V.“ existiert eine Vielfalt an Schattierungen und Stilen. Wegen der bisherigen Erfahrungen soll einer Machtkonzentration von vornherein entgegengetreten werden. Die Satzung schreibt eine Doppelspitze sowohl bei den Vorsitzenden als auch den Stellvertretenden vor. Die beiden Gründungsvorsitzenden sind Sarah-Elisa Krasnov (Felsberg/Kassel) und Dr. Rebecca Seidler (Hannover), die beiden Stellvertretenden sind Dr. Achim Doerfer (Göttingen) und Tatiana Mass (Hannover). Hinzu kommen drei Beisitzerinnen: Dr. Ruth Geiss-Friedlander (Freiburg), Cornelia Haberlandt-Krüger (Freiburg) und Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck (Frankfurt).

Mitglied können jüdische Gemeinden und gemeindeähnliche Gruppierungen wie egalitäre Minjanim in Einheitsgemeinden werden, die die Satzung von JLEV anerkennen (siehe www.jlev.de). Neben der Satzung hat sich der Verband einen „Kompass“ gegeben, der die religiösen und ethischen Leitlinien aufzählt (ebenda). Zu diesen Leitlinien gehören neben der jüdischen Religionsausübung und Bildungsarbeit dezidiert auch Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion von Menschen mit Behinderung, Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen, interreligiöses Gespräch und nicht zuletzt innerjüdischer Dialog. Für Statusfragen gelten die Kriterien der ARK. Der Kompass unterstreicht außerdem die starke Beziehung zu Israel, „insbesondere zu den demokratischen Kräften und den liberalen und egalitären Richtungen im Staat Israel“. Das schon jetzt konzipierte „JLEV Lehrhaus“ soll zu einem wichtigen Instrument werden, um die Inhalte des liberalen und egalitären Judentums in der heutigen jüdischen Wirklichkeit zu diskutieren und JLEV zu profilieren.

Angesichts der Vorwürfe gegen das Abraham Geiger Kolleg betont der Kompass die hohen ethischen und qualitativen Ansprüche an die rabbinische und kantorale Ausbildung. JLEV will darum an den Verhandlungen um die künftige Gestaltung der Rabbinats- und Kantoratsausbildung beteiligt werden. Hoffentlich erweist sich JLEV auch als ein Instrument der Teschwua, des ehrlichen Umgangs mit den im Raum stehenden Vorwürfen im liberalen Judentum sowie einer unbedingten Ausrichtung auf Integrität und gegenseitigen Respekt. JLEV setzt den Schritt heraus aus dem entstandenen Knäuel der Zerwürfnisse und Unwegsamkeiten. Es wagt den Neustart. Mit einem jüdischen Herz.

 

aus dem ARK Mitteilungsblatt, Nr. 14, Schawuot 2023/5783



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