hauptmotiv

„Wir geben die Hoffnung nicht auf“

Erinnerungen an Rabbiner Nathan Peter Levinson s. A.

An jenem Tag erstelle ich Dawids zerfallene Hütte wieder, ich verzäune ihre Risse, ihre Trümmer stelle ich wieder her, ich baue sie wie in den Tagen der Vorzeit.“ – Seine Abiturrede war ihm so wichtig, dass er sie immer bei sich hatte, an allen seinen Wohnorten“, erinnert sich Hermann Simon an Rabbiner Nathan Peter Levinson (1921–2016), der ursprünglich Peter Lewinsky hieß. „Sie schloss mit den Worten aus dem Buch des Propheten Amos 9,11.“ „Ewiges dennoch“: Am 23. November, dem 100. Geburtstag von Levinson, erinnerte Rabbiner Andreas Nachama, der Vorsitzende der ARK, in einem digitalen Gesprächsabend des Deutschen Koordinierungsrates an den bedeutenden Rabbiner und langjährigen jüdischen Präsidenten des DRK. Nachama sprach mit dem Studienleiter Torsten Lattki über Leben und Wirken von Levinson und dessen Engagement im jüdisch-christlichen Dialog. „Er war der letzte deutschsprachige Rabbiner seiner Generation, der tatsächlich noch jene Mischung aus höchster wissenschaftlicher Gelehrsamkeit, aus aufgeklärter akademischer Liberalität und jüdisch-traditionellem Wissen darstellte, für das die deutschjüdische Rabbinergeneration um Leo Baeck stand”, heißt es in seiner Würdigung. 

Levinson hat in einer biographischen Skizze selbst beschrieben, was ihn fürs Leben geprägt hat: „Ich wurde 1921 in Berlin geboren. Meine Eltern erzogen mich in der religiös-liberalen Tradition des deutschen Judentums. Meine Mutter sang im Chor der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, so daß ich schon früh das Gotteshaus als eine Art Heimat betrachtete. Schon als Kind spielte ich Rabbiner, indem ich eine Baskenmütze als Barett, den schwarzen Bürokittel meiner Mutter als Talar und eine Leiter als Kanzel benutzte.“ „Meine Entwicklungsjahre fielen in die Anfangszeit des nationalsozialistischen Regimes. Ich besuchte das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, eine evangelische Schule, zu deren Schülern schon Bismarck gehört hatte. Später wurde ich in das Gymnasium der orthodoxen Austrittsgemeinde Adass-Jisroel umgeschult. Neben den allgemeinen Fächern erhielt ich täglich Unterricht in Bibel und anderen jüdischen Disziplinen. Dieser Schule verdanke ich solide Kenntnisse jüdischen Lebens. Nach der Zerstörung der Synagogen wurde auch diese Schule aufgelöst. Ein einziges jüdisches Gymnasium konnte auch in Berlin aufrechterhalten werden, wo ich im Frühjahr 1940 das Abitur bestand und auch für die Klasse die Abiturientenrede hielt. Von 1940 bis Frühjahr 1941 studierte ich an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, die damals von Leo Baeck geleitet wurde. Wie er, der in jenen Jahren die ganze Last des deutschen Judentums auf seinen Schultern trug, jeden Morgen um acht Uhr seine Vorlesungen über Midrasch, Homiletik, vergleichende Religionswissenschaft hielt, wird für immer zu den wichtigsten Erfahrungen meines Lebens gehören. 1941 gelang es mir noch, mit meinen Eltern über Polen, Rußland, Korea, Japan nach Amerika zu kommen. Ich habe dort, nachdem ich ein Jahr lang nachts in einer Weberei gearbeitet hatte, 1942 mit meinem Studium am Hebrew Union College, dem ältesten Rabbinerseminar Amerikas, angefangen, das ich 1948 abschloß. Zwei Jahre war ich Rabbiner in Selma, Alabama. Dann bat mich Leo Baeck, das liberale Rabbinat in Berlin zu übernehmen. Drei Jahre war ich Gemeinderabbiner in der anfangs noch ungeteilten Stadt. Mein Büro befand sich im damaligen Ostsektor, meine Wohnung wurde mir von der britischen Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt. Diese Zeit der Rückkehr und des Wiederaufbaus wurde für mich eine entscheidende Zeit.“ (aus: Nathan P. Levinson, Ein Rabbiner in Deutschland, Gerlingen 1987). 

Julius H. Schoeps fasste als Herausgeber der Festschrift Aus zweier Zeugen Mund (1992) für Pnina Navè Levinson und Nathan Peter Levinson weitere Lebensstationen und Arbeitsfelder zusammen: „Peter Levinson war Rabbiner in Mannheim bis 1964, dann Landesrabbiner von Baden bis 1986. Noch heute amtiert er als Landesrabbiner von Hamburg und Schleswig-Holstein. Er war der Mitinitiator der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, wo er u.a. Midrasch, Homiletik und Religionspädagogik unterrichtet hat. Levinson war auch viele Jahre der Vorsitzende der Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland, darüber hinaus Mitglied der Central Conference of American Rabbis und des Board of Governors der World Union for Progressive Judaism.“ Die Festschrift, Levinsons Betrachtungen Ein Rabbiner in Deutschland. Aufzeichnungen zu Religion und Politik (1987) und seine Autobiografie Ein Ort ist, mit wem du bist. Lebensstationen eines Rabbiners (1996) sind anschauliche Lebenszeugnisse. „Und endlich sind wir als Juden die ewigen Optimisten“, resümierte er 1987. „Die Resignation darf keine Option bleiben. Wir geben die Hoffnung nicht auf, und nicht unseren Glauben an die Zukunft.“ 

Hartmut Bomhoff

 

 



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