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Pessach und die Anderen

von Rabbinerin Elisa Klapheck

Pessach ist das Fest, auf das wir zu Recht stolz sind. Jedes Jahr erreicht mich die Frage, ob auch nichtjüdische Gäste am Seder teilnehmen können.

Gern lassen wir auch andere an unserer Freude teilhaben, schließlich hat die Erzählung vom Auszug aus der Sklaverei in Ägypten unsere Kultur nachhaltig geprägt. Ohne das Judentum wäre die Geschichte der Freiheit nicht denkbar – und der Sederabend ist der beste Anlass, dies zu zeigen. Zwar verbietet die Thora, dass Fremde vom Pessach-Opfer essen. (2. BM 12, 43-48) Aber schon im Talmud wurde dies weniger scharf unterschieden. So sagt die Mischna: „Hat man es (das Pessach-Lamm) für solche, die davon nicht essen können, für Unbeteiligte, für Unbeschnittene oder für Unreine geschlachtet, so ist es untauglich; wenn aber für solche die davon essen, und solche, die davon nicht essen können, für Beteiligte und Unbeteiligte, für Beschnittene und Unbeschnittene, für Reine und Unreine, so ist es tauglich.“ (Pes V, 3) Hiervon wird abgeleitet, dass die Leitung des Sederabends in jüdischer Hand liegen muss, aber auch nichtjüdische Gäste dabei sein dürfen.

Die Idee der Freiheit

Damit ist jedoch längst nicht alles gesagt. Es tut sich vielmehr eine interessante Spannbreite auf. Inwieweit ist Pessach ein Fest, das nur uns Juden etwas angeht? Dass wir heute das Privileg haben, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, verdanken wir gerade auch der Außenwirkung der Exodus-Erzählung.
Der jüdische Sozialphilosoph Michael Walzer hat beschrieben, wie das Buch Schemot zur Grundlage aller erfolgreichen demokratischen Revolutionen wurde. Tatsächlich zitierten die Freiheitskämpfer in England, den Niederlanden oder den USA im 17. und 18. Jahrhundert immer wieder die Geschichte des Exodus. Einen Höhepunkt der nichtjüdischen Identifikation mit Pessach in der jüngsten Zeit ist die berühmte Fotografie des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus, der mit seinen jüdischen Mitarbeitern einen Seder feierte. Freiheit erhalten
Die Thora erzählt uns, dass von Anfang an viel „gemischtes Volk“ unter den Ausziehenden gewesen sei. (2. BM 12, 38). Wir können uns denken warum. Die Freiheit hatte immer schon die Klugen überzeugt. Und oft sind diejenigen, die das Judentum unterstützen, ohne Juden zu sein, Teil einer größeren Wechselbeziehung, in der sich das Judentum weiterentwickelt hat.
Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Heute geht es nicht nur um die Frage, wie man aus der Unfreiheit auszieht, sondern zunehmend auch, wie man die Freiheit erhält. Sicherlich nicht, indem man nach innen die Kräfte der Unfreiheit, Intoleranz und Unterdrückung gewähren lässt. Das heutige Stichwort heißt Pluralismus Die Thora wusste noch nichts von „religiös“ oder „säkular“, „orthodox“ oder „liberal“. Aber sie kannte die Anderen, die mit dabei waren und eine Spannbreite herstellten.
Das heutige Stichwort hierzu heißt Pluralismus. Das ist mehr als ein Nebeneinander von verschiedenen Anschauungen. Es bedeutet, Brücken für den inneren Zusammenhalt zu bauen. Für mich drückt sich das auch in einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit den vier Kindern in der Haggada aus. Den Rascha, das heißt, das unwillige Kind – im liberalen Judentum kann es auch ein rebellisches Mädchen sein – würden wir nicht mehr ohne weiteres zurückweisen. Und das kluge Kind würden wir nicht nur als jungen Gelehrten sehen wollen, sondern als einen, dem es gelingt, mit dem Unwilligen ins Gespräch zu kommen. Und so stellt sich erneut die Spannbreite mit den inneren und den äußeren Anderen her – auch für uns heute.

Chag sameach, Rabbinerin Elisa Klapheck

Erstabdruck in der Jüdischen Gemeindezeitung Frankfurt 

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