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Purim - Mit Witz und Wagemut

Die Geschichte von Esther und Mordechai zeigt, wie man auf Bedrohung reagieren soll

Von Rabbiner Boris Ronis


Purim ist ein wirklich bemerkenswertes Fest, denn es beinhaltet viel Dramatik und wird doch ausgelassen und sehr fröhlich gefeiert. Ein Fest, das uns daran erinnert, wie wir unter großer Bedrängnis dennoch überleben konnten. Es ist aber auch ein Fest, das die grausamen Jahrhunderte danach, mit all ihren Schrecknissen und Tragödien, nicht einbezieht. Genauso, wie es heutige Bedrohungen der Gegenwart nicht zu berücksichtigen weiß – es scheint losgelöst von der Zeit. Doch welche Relevanz hat Purim für uns heute? Und können wir wirklich so ungezwungen feiern und uns über einen Sieg freuen, der vor so langer Zeit errungen wurde?

Wenn zu Purim aus der Megilla gelesen wird, dann ist die Stimmung der Betenden eine andere als an den übrigen Festen des Jahres. Die Gemeinde ist weder still noch ernst – wie sonst zu Feiertagen, an denen aus der Tora gelesen wird. Man ist verkleidet, man schreit, pfeift und versucht, den Namen des Bösewichts Haman lautstark zu übertönen, wenn dieser vorgelesen wird. In der Erwartung, diesen Namen ein für alle Mal auszulöschen – die härteste Strafe, die es im Judentum überhaupt geben kann.

Mit Purim hat es aber auch noch eine andere Bewandtnis: Es geht um Trost. Selten ist das Volk der Juden so glorreich aus einem Konflikt hervorgegangen. Zu groß waren stets die Verluste, resultierend aus der Tatsache, dass man als Minderheit unter den Völkern lebte, meist einen abgesonderten Status hatte und vor Übergriffen nicht gefeit war.

willkür

Auch Mordechai und Esther gehören zu dieser Minderheit. Trotz ihres Ranges und des hohen Status sind sie der Willkür des persischen Herrschers Achaschwerosch ausgesetzt, nur ihr kluges und überlegtes Handeln lässt sie siegreich sein. So schaffen sie das Unmögliche – sich erfolgreich zur Wehr zu setzen und sich zu verteidigen. Darum spendet dieses Fest Trost und erinnert uns in schweren Zeiten an das Wunder, als wir Tod und Vernichtung entkommen konnten.

Wenn wir uns die Welt von heute ansehen und versuchen, sie mit der von damals zu vergleichen, in der die Juden zur Purimzeit überlebt haben, dann stellen wir einige Parallelen fest. Wir werden wie damals von anderen drangsaliert, die uns Tod und Vernichtung wünschen. Doch haben wir heute keine Königin Esther, die uns aus dem Schlamassel befreien kann, keinen Mordechai, der uns retten wird. Wir scheinen einmal mehr ganz auf uns selbst gestellt.

strategien

Darum ist es unsere Aufgabe, aus der Purimgeschichte das Wichtigste zu lernen, um dadurch gestärkt gegen die Bedrohungen der Gegenwart gewappnet zu sein. Doch welche wichtigen Lehren bergen die siegreichen Strategien Esthers und Mordechais für uns? Können sie uns auf die Gegenwart vorbereiten und Bedrohungen erkennen lassen?

Ja, denn es geht um die überlegte Vorbereitung und richtige Reaktion auf Hamans bösartigen Plan. Richtig reagieren ist etwas, was gelernt sein will. Oft entstehen Handlungen aus einer Überreaktion, einem Reflex, ohne sich ihrer Konsequenzen bewusst zu sein. Esther und Mordechai zeigen uns in ihrem Beispiel, was es heißt, angemessen zu handeln.

Wir alle stehen im Leben vor unterschiedlichsten Entscheidungen. Und oft ist die Frage: Gehe ich nach rechts oder lieber nach links? Bleibe ich lieber stehen? Schöpfe ich mein Potenzial voll aus? Esther und Mordechai nutzten all ihre Möglichkeiten. Ihr Weg führte sie ins Königshaus. Manche würden sich über so eine Gelegenheit mehr als nur freuen. Im Königshaus zu sein und alle Privilegien genießen zu dürfen, das ist ein großer Erfolg im Leben eines jeden Menschen.

goldener käfig

Doch für eine jüdische Frau kann es Besseres geben, als im goldenen Käfig eines launischen Herrschers untergebracht zu werden, die eigene Identität im Verborgenen zu lassen und das Leben vollkommen umzukrempeln. Esther und Mordechai nehmen diese Herausforderung an. Mehr noch – sie gedenken ihrer im Exil lebenden Gemeinschaft und tun ihr Möglichstes, ihr in Zeiten der Gefahr ein Überleben zu ermöglichen.

Sich bewusst für einen Weg zu entscheiden und ihn konsequent mit Kawana – mit der nötigen geistigen Bereitschaft – zu gehen, ist eine der wesentlichen Lehren unserer Geschichte. Denn unser Weg in der Vergangenheit hat uns eines gelehrt: Als Minderheit haben wir oft nicht die Mittel, um einen sicheren Sieg im Umgang mit unseren Widersachern zu erringen. Dazu sind wir zahlenmäßig gar nicht in der Lage.

Unser Vorteil liegt vielmehr in den Erfahrungswerten, indem wir auf eine über 4000-jährige Vergangenheit zurückblicken können. Darum lohnt es sich, besonders im Fall Purim, geistesgegenwärtig zu agieren. Leider lehrt uns die Vergangenheit auch, dass wir uns selten ausruhen können. Denn in jeder Generation erhebt sich ein weiterer Haman, der den Kindern Israel nach dem Leben trachtet.

Wenn wir also unser Purimfest mit Freude und Ausgelassenheit begehen, tun wir das, weil wir am nächsten Tag wieder unseren eigentlichen Weg zu gehen haben, der von uns Entscheidungen abverlangt und ein wohlüberlegtes Handeln fordert. Dadurch haben wir bessere und schlechtere Zeiten meistern dürfen, was uns aber als Schicksalsgemeinschaft vereint hat, und so Gott will, auch weiterhin vereinen wird. Purim Sameach!

Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 21.2.2013.

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