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Die Zeit des Omerzählens

Von Rabbiner Daniel Alter

Unsere Texte lehren oft von moralischen Höhen. Im aktuellen Wochenabschnitt lesen wir aber von moralischen Tiefen: „Wenn ihr nicht gehorcht, und diese Gebote nicht haltet, wenn ihr meine Gesetze verschmäht und meine Rechtsvorschriften missachtet, meine Gebote nicht haltet und den Bund mit mir brechet, so will ich dasselbe mit euch tun. „

Raschi interpretierte den Satz „… wenn ihr meine Gesetze verschmäht ….“ auf folgende Weise: „… wenn ihr es verschmäht, dass andere meine Gesetze aus¬führen …“ Raschi sagt also „Wenn Du selbst Gebote ausführst, bzw. die Gebote hältst, aber dies bei anderen ablehnst …“

Was bedeutet: „aber dies bei anderen ablehnst ….“?

Nehmen wir an, ich lebe in XY und ist es meine Aufgabe, Tora zu lehren. Ich habe das bis jetzt auch gut gemacht und mir einen guten Ruf erarbeitet. Plötzlich kommt ein anderer Mensch in unseren Ort um genau das gleiche zu tun: Tora lehren.
Wie soll ich darauf reagieren? Wahrscheinlich wird meine Reaktion von meiner Beziehung und Einstellung zu meiner Arbeit abhängen. Wenn ich ausschließlich zum Ruhm und zu Ehren Gottes arbeite, dann sollte mich dies freuen: je mehr, je besser! Wenn es mir aber in Wirklichkeit um mein eigenes Ego, um meine eigene Reputation oder um meinen eigenen Ruhm und Erfolg geht, dann besteht die Chance, dass ich dieser Person negativ und ablehnend gegenüberstehe.
Ihre Anwesenheit, ihr guter Ruf und ihr Erfolg, die lenken doch nur von mir und von meiner herausragenden Wichtigkeit ab. Ich bin nicht mehr der alleinige Star der Show.

Wir sind in der Zeit des Omerzählens und sollten daran denken, dass in der Antike während der Omerzeit tausende von Schülern des Rabbi Akiva einer Seuche zum Opfer fielen. Wir können annehmen, dass diese Schüler sehr viel Tora gelernt haben und fleißig und aufmerksam bei der Erfüllung von Geboten waren. Warum also wurden sie von diesem Schicksal getroffen?
Der Talmud lehrt, dass sie einander nicht mit dem angemessenen Respekt behandelt haben.
Raschi erklärt weiter, es sei der eine nicht für den anderen aufgestanden und sie hätten sich zu grob angeredet.
Es hätte ihnen wirklich klar sein können, dass ihre Kollegen auch alle „Talmidei chachamim“ (angehende Gelehrte) waren, und so hätten sie einander wenigstens die einfachsten Formen des Respekts erweisen können. Wahrscheinlich aber war jeder von ihnen mehr mit sich selbst und seinem eigenen Ruf beschäftigt als damit, seinen Kollegen den angemessenen Respekt zu zollen.

Unter religiösen Menschen sollte es keine Probleme geben mit dem materiellen, konkreten Erfolg unsere Kollegen, Freunde oder Nachbarn. Und eigentlich sollten wir auch kein Problem haben, in Bezug auf Erfolg und Fortschritte in Lehre, Studium, Observanz oder Spiritualität.

Das wäre das Ideal.

Aber vielleicht nagt es doch irgendwo tief in uns und wir haben Angst, dass der Fortschritt und Erfolg der anderen unseren eigenen Ruf und unseren eigen Ruhm schmälert, oder das vielleicht unsere Schwächen dadurch deutlicher sichtbar werden.
Wir sind zwar nur Menschen mit menschlichen Schwächen. Aber wir sollten über den Erfolg und den Fortschritt anderer ebenso glücklich und zufrieden sein wie über unseren persönlichen Erfolg und über unsere eigenen kognitiven und spirituellen Fortschritte.

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