hauptmotiv

Erste Egalitäre Pessach-Haggada

von Rabbinerin Elisa Klapheck

Pessach, das Fest der Freiheit, ist aktueller denn je. Nicht nur zur Zeit des mythischen Pharaos musste die Freiheit erkämpft werden. In jedem Zeitalter stehen die Feinde der Freiheit erneut auf, um sie niederzudrücken. Mit Pessach setzt das Judentum ein Zeichen, dass Freiheit vom jüdischen Standpunkt her mit Gottes Hilfe machbar ist und dass es für jeden Juden, jede Jüdin eine Mizwa, eine religiöse Pflicht ist, sich vorzustellen, diesen Weg in die Freiheit zu gehen. – „In jeder Generation soll sich der Mensch betrachten, als sei er selber aus Mizrajim gezogen.“

Im Verlag Hentrich & Hentrich ist soeben ein besonderes Zeugnis jüdischer Identität in der Gegenwart erschienen: die erste Egalitäre Haggada im deutschsprachigen Raum. „Egalitär“ bedeute
t, dass Männer un
d Frauen gleichberechtigt den jüdischen Ritus ausüben. Aber es ist mehr als das. Als Egalitäre Haggada ist sie Ausdruck der weitreichenden Pluralität und Kreativität jüdischen Lebens heute. In ihr bestehen die Vorfahren nicht nur aus Vätern, sondern auch aus Müttern, fragen Mädchen genauso wie Jungen, und wird Gott, aus einem Sprachgefängnis majestätisch-männlicher Herrschaft befreit, als eine Macht erkennbar, mit der sich Jüdinnen und Juden in der Demokratie identifizieren können.

Damit knüpft diese Haggada bewusst an die jahrhundertealte Kreativität an, mit der das Pessachfest in den verschiedenen Zeitaltern entsprechend den Herausforderungen weiterentwickelt wurde. Schon der Talmud wandelte das in der Tora beschriebene Ritual in ein festliches Bankett für zuhause, bei dem die Kinder Fragen stellen, vier Gläser Wein oder Traubensaft getrunken werden und die inhaltliche Beschäftigung mit der Befreiung von der Sklaverei im Zentrum steht. Im Mittelalter und in der Neuzeit wurden weitere Komponenten in die Haggada aufgenommen, vor allem die heute bei jedem Seder unverzichtbaren Lieder „Echad mi jodea“ und „Chad gadja“.

Diese Haggada ist ein Zeugnis jahrelanger egalitärer Sederpraxis im Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a.M. Alljährlich beim Sederabend tragen die Mitglieder aktiv mit Diskussionsbeiträgen bei, von denen sich ein Teil in dieser Haggada wieder findet. Aufgenommen sind auch neue Aspekte wie queeres Judentum, Öko-Chamez und Bezüge zur politischen Gegenwart, ebenso wie Aspekte aus dem Talmud. Diese Haggada versteht sich darum bewusst nicht als ein abgeschlossenes Werk, sondern als ein Füllhorn von Anstößen, auf die viele weitere folgen können. Gemäß dem egalitären Anspruch bietet das Layout mit der Kommentarspalte Anregungen zur Auseinandersetzung, außerdem eine lesefreundliche Transliteration und Noten zu den einschlägigen Pessachliedern. Alle Zugänge stehen gleichberechtigt auf derselben Seite. Auch wenn sich der Egalitäre Minjan zum liberalen Judentum zählt, bezieht er traditionelle Stimmen wie von Samson Raphael Hirsch und Nechama Leibowitz genauso ein wie progressive von Susannah Heschel, Arthur Waskow oder David Teutsch. Auch zeitgenössische Haggadot finden ihr Echo, wie die von Michael Strassfeld und Joy Levitt herausgegebene „A Night of Questions“.

Viel Dank gebührt den Macher*innen. Unermessliches hat die Graphikerin Michaela Weber bei der Umsetzung von komplexen talmudischen Layout-Vorstellungen geleistet. Simon Schwartz hat mit seinen einzigartigen Graphic Novel-Zeichnungen eine eigene Interpretationslinie in die Hagg
ada gelegt, die zugleich an die alte Kunst der Haggada-Illustrationen seit dem Mittelalter anknüpft. Einen Meilenstein hat der Kantor des Egalitären Minjan, Chasan Daniel Kempin, mit den Notationen der Pessach-Lieder und dem Spiel mit den Gottesnamen darin gesetzt. Seine kostbare, liebevoll zusammengetragene Sammlung, die auch eigene Kompositionen umfasst, wird gerade auch denjenigen, die ihre eigene Sederleitung vorbereiten, eine unschätzbare Hilfe sein. Großer Dank gilt den Gabbaim und Gabbaijot des Egalitären Minjan. Ohne ihre aktive Unterstützung und Mitwirkung wäre dieses vielschichtige Projekt nicht verwirklicht worden. Den größten Dank aber verdienen die Mitglieder des Egalitären Minjan, die das Projekt auf vielerlei Weise mitge tragen haben und nunmehr knapp drei Jahrzehnte den Aufbruch jüdischen Lebens in Deutschland bezeugen. Sie haben in einem spannenden Zusammenspiel, in dem ich die verschiedenen Bezüge zu einem großen Ganzen zusammenbringen durfte, ein großes Gemeinschaftswerk hergestellt, das auch anderen eine Inspiration sein kann. Vielen Dank an uns alle! Und viel Anregung den Leserinnen und Lesern dieser Haggada.

Elisa Klapheck (Hg.), Egalitäre Pessach Haggada. Hebräisch/Transliteration/Deutsch/ Kommentare, 176 Seiten, Hardcover, 36 Abbildungen. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig 2022. ISBN: 978-3-95565-512- 9, 24,90 € Einzelbestellungen über den webshop https: //www.hentrichhentrich.de/. Für Gemeinden bietet der Verlag ab einer Bestellmenge von 10 Expl. 25% Rabatt an. Diese Bestellungen mit Liefer- und Rechnungsadresse bitte an Thomas Schneider richten: verlag@hentrichhentrich.de


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