hauptmotiv

Verflucht sei Haman, und gesegnet sei Mordechai!

Warum man sich an Purim berauschen sollte

von Rabbiner Boris Ronis

Rava sagte: »Eine Person ist verpflichtet, sich zu Purim derart mit Wein zu berauschen, dass sie nicht mehr zwischen ›Verflucht sei Haman‹ und ›Gesegnet sei Mordechai‹ unterscheiden kann.«

Die Gemara erzählt in diesem Zusammenhang, dass Rabba und Rabbi Zeira einst miteinander Purim feierten. Sie tranken so viel, dass Rabba sich vor Rabbiner Zeira aufbaute und ihn erschlug. Am nächsten Tag, als Rabba nüchtern wurde und erkannte, was er getan hatte, bat er Gott um Gnade – und sie wurde ihm zuteil: Rabbi Zeira erwachte zum Leben. Im darauffolgenden Jahr sagte Rabba zu Rabbi Zeira: »Lass den Meister kommen und uns miteinander Purim feiern.« Doch Zeira entgegnete ihm: »Wunder geschehen nicht jede Stunde, ich will diese Erfahrung nicht noch einmal durchmachen« (Megilla 7b).

»Schicker«

Im Jiddischen als »Schicker« betitelt zu werden, ist alles andere als eine Auszeichnung. Im Deutschen würde man sagen: ein Säufer. Und trotzdem haben wir an Purim laut dem Talmud die Aufgabe, uns ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Das ist eine der Mizwot, die wir an Purim ausführen sollen: eine ausgiebige Mahlzeit einnehmen, mit viel Fleisch und Wein, in einer feierlichen und fröhlichen Atmosphäre.

In der ganzen Purimgeschichte spielt Wein eine wesentliche Rolle. So hat Waschti, die Königin, weil sie nicht vor dem betrunkenen König und seinem Gefolge tanzen wollte, den Stein der Ereignisse ins Rollen gebracht. Ein Weingelage bringt ein jüdisches Mädchen in die Position einer Königin, Esther ersetzt die verstoßene Waschti.

»In vino veritas«, sagt der Lateiner, was so viel heißt wie: »Im Wein liegt Wahrheit.« Unsere Weisen lehren aber auch, dass im Wein viele Zores – Wirrwarr oder Ärger – liegen. Um die Mizwa zu erfüllen, genügt es eigentlich, etwas mehr Wein als üblicherweise zu trinken und sich dann schlafen zu legen. Denn auch wer schläft, kann nicht mehr unterscheiden zwischen Mordechai und Haman, zwischen Segen und Fluch. Menschen, die sich dessen bewusst sind, dass sie im Rausch Übles anstellen würden, oder Angst haben, ihrer Gesundheit zu schaden, müssen an Purim nicht viel Wein trinken.

Selbstbeherrschung

Doch warum bestehen einige wichtige Denker wie der Rambam darauf, dass man trinken muss, bis man die rationale Selbstbeherrschung verliert und nicht mehr klar unterscheiden kann zwischen »Verflucht sei Haman« und »Gesegnet sei Mordechai«?

Eine Antwort darauf könnte sein, dass wir Juden uns oft gegen die Gebote Gottes gestellt haben – auch zu Zeiten der Purimgeschichte unter König Achaschverosch. Dort haben wir uns versündigt, indem wir durch das reichliche Gelage und den Wein unsere Herkunft vergaßen. Nach dem Rausch erkannten wir unser Vergehen, und die Umkehr zu Gott rettete uns vor der Vernichtung durch Haman.

Errettung

Es stehen damit nicht unsere Taten, durch die wir von Gott errettet wurden, im Vordergrund, sondern Seine Barmherzigkeit, uns immer zurückkehren zu lassen und Seine Tore nie zu verschließen. Darum sagen unsere Weisen, dass wir essen und trinken sollen im Überfluss, um dadurch unser Vertrauen Gott gegenüber zu bekräftigen. Im Zustand der Bewusstlosigkeit demonstrieren wir unsere Gläubigkeit: Gott wird uns nicht fallen lassen – sei es, dass wir klar sind im Kopf oder berauscht.

Denn auch das kann für uns eine wichtige Lektion der Purimgeschichte sein: sich einfach mal zurückzulehnen und zu entspannen. Bekanntermaßen steht in jeder Generation ein Feind Israels gegen uns auf, der uns vernichten möchte. Das heißt, jede Generation muss um ihre Existenz fürchten, für ihr Wohl einstehen und kämpfen. Durch einen ausgiebigen Konsum von Wein zeigen wir, dass wir unseren Sieg über das Böse genießen können. Und wir beteuern, dass wir zuversichtlich in die Zukunft blicken, mit Gott.

Wiederverwendung mit freundlicher Genehmigung der Jüdischen Allgemeinen, dort erschienen am 09.03.2017.


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