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Namensgebung für ein Mädchen

Von Rabbinerin Elisa Klapheck

Bis in die 70er Jahre schienen die Gottesdienste, also das was da vorne am Pult in der Synagoge in Hebräisch gesprochen und getan wurde, vor allem eine Männersache zu sein. Dann begann eine jüdische Frauenbewegung, Gleichberechtigung zu fordern bis hin zu dem Punkt, dass Frauen auch Rabbinerinnen werden können. Zugleich brach ein Strom an Kreativität frei für Rituale, welche nunmehr auch die entscheidenden Momente im Leben der Mädchen und Frauen markierten.

Unlängst hatten wir in meiner Gemeinde so einen Moment, der ohne diese Entwicklung nicht denkbar wäre. Die Namensgebung eines gerade geborenen Mädchens.
Jüdische Jungen werden – wie dereinst Isaak von seinem Vater Abraham – am 8. Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Die Beschneidung symbolisiert den Bund Gottes mit dem Volk Israel. Ein starkes Ritual also, für das es nicht einfach ist, etwas vergleichbar Starkes für Mädchen zu entwickeln. Und doch ist es möglich. Bei dem Ritual, das in meiner Gemeinde inzwischen üblich geworden ist, wird das Mädchen auf die offene Tora-Rolle gelegt und dann mit seinem jüdischen Namen gesegnet.

Die Tora – das ist unser Erbe, unser Text, unsere Tradition, mit der wir uns Schabbat um Schabbat immer wieder neu beschäftigen und unseres Judentums vergewissern. Traditionell werden am Schabbat sieben Personen nacheinander zur Tora aufgerufen, um aus ihr zu lesen. Diesmal galt ein Aufruf den Eltern des Mädchens. Im Anschluss an ihren Aufruf standen alle im Saal auf und kamen nach vorne zum Pult. Dort wurde das Mädchen in einen Tallit, einen Gebetsschal, eingewickelt, auf den gerade gelesenen Tora-Text gelegt und mit seinem Namen gesegnet.

Der Moment trieb vielen im Raum eine Träne ins Auge. Was mich aber am meisten freute war die allgemeine Ansicht, wonach künftig auch die Jungen nach ihrer Beschneidung eine solche Namensgebung bekommen sollten. Begründet wurde das mit ihrer Gleichberechtigung. Auch sie hätten ein Recht darauf – wie die neu geborenen Mädchen – einen Moment lang so im Gottesdienst im Mittelpunkt zu stehen. Daran sieht man, wie sehr, das, was als Ersatz für die Mädchen entstanden ist, am Ende allen zu Gute kommt. Gleichberechtigung stärkt nämlich gerade auch diejenigen, die ihre Bevorrechtigung durch sie verlieren.

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