hauptmotiv

Brit Mila


Beschneidung und jüdische Identität

Von Rabbinerin Dr. Yael Deusel

Ähnlich wie bei der Debatte um ein Schächtverbot werden in den europäischen Ländern, aber auch   darüber hinaus, regelmäßig Versuche unternommen, die rituelle Beschneidung der neugeborenen jüdischen Jungen und der zum Judentum übertretenden Männer zu diskreditieren. Die gegenwärtige Diskussion ist von erschreckender Vehemenz und macht auch vor Polemik gegen die Brit Mila nicht Halt. Daraus resultiert eine Verunsicherung mancher jüdischen Eltern, aber auch von den behandelnden Ärzten, ob denn eine Beschneidung überhaupt erfolgen soll.

Kaum ein Ritual ist jedoch so identitätsstiftend für das Judentum wie die Brit Mila, die zudem vom medizinischen Standpunkt aus auch keinen Nachteil bringt. Dies unterstreicht der nachfolgende Text der Rabbinerin und Urologin Antje Yael Deusel. Es handelt sich dabei um das Resümee ihres Buches „Mein Bund, den ihr bewahren sollt“ (Herder 2012), das sich klar zur Beschneidung bekennt.



Wie kein anderes Gebot steht die Brit Mila symbolisch für die Zugehörigkeit zum Judentum, sowohl für Juden als auch für Nichtjuden. Dabei erreicht die Akzeptanz der rituellen Zirkumzision als unverzichtbarer Teil der jüdischen Identität alle Denominationen innerhalb des jüdischen Pluralismus, von der Ultraorthodoxie bis zum säkularen Zionismus, wobei, wie Thomas Schlich darlegt, in der modernen Zeit, in der zahlreiche Juden sich nicht mehr über die traditionelle Ausübung der Religion definieren, „das Festhalten an der Beschneidung des Knaben nicht selten das letzte überhaupt noch verbliebene Zeichen der Verbindung zum Judentum dar[stellt]“.

Praktiziert seit Tausenden von Jahren zunächst wohl als Ritus mit soziokulturellem Hintergrund, wandelte sich die Brit Mila im Lauf der Zeit zu einem Ritual von höchster religiöser Bedeutung in ihrer Symbolik als Zeichen des Bundes mit dem Ewigen. Ihre theoretischen Grundlagen finden sich in der Tora, die praktischen Erläuterungen zu ihrer Ausführung in Mischna und Talmud. In der nachtalmudischen Epoche erfuhr die Zeremonie der rituellen jüdischen Beschneidung weitere Ergänzungen und Modifikationen, und sie  erreichte schließlich in der gaonäischen Zeit sogar einen Rang in Äquivalenz zur Bedeutung eines christlichen Sakraments. Dabei läßt sich ihr Stellenwert in der jüdischen Gesellschaft von Anfang an stets auch als Spiegel für die politische bzw. gesellschaftliche Stellung der Juden innerhalb ihrer nicht-jüdischen Umgebung betrachten.

Während das „Wie“ der Brit Mila sich mit zunehmendem medizinischem Fortschritt, aber auch als Reaktion auf nicht-jüdische Einflüsse modifiziert hat und auch dem „Warum“ aus religiöser Sicht manche rationale Argumentation beigeordnet wurde, blieb doch das „Daß“, obwohl nicht immer unangefochten, bis heute bestehen. Zwar fanden sich im Lauf der Jahrtausende, bis in unsere heutige Zeit hinein, immer wieder Angriffe auf die rituelle Beschneidung, welche von der gesellschaftlichen Stigmatisierung bis zum Verbot derselben reichen. Diese sind allerdings,  pars pro toto, letztlich nicht als Angriff auf die Zirkumzision als solche, sondern auf das Judentum an sich zu werten, was sich nicht selten auch in der jeweiligen Wortwahl der nicht-jüdischen Gegner der Brit Mila bemerkbar macht. Dazu äußert S. Bamberger im Jahr 1913 im Vorwort zu seinem Kompendium der Beschneidung sehr treffend: „[...] Nicht selten [ist] anstelle des ernsten Bestrebens, zur Sache zu schreiben, persönlicher Haß und persönliche Erbitterung getreten und nicht selten [herrschen] Vorurteile und Unkenntnis vor, altem Amaleksgeist erstanden, [es werden] Entstellungen und falsche Auslegungen ins Feld geführt [...]“.  Diese Aussage Bambergers charakterisiert nicht nur die zeitgenössische Argumentation der Beschneidungsgegner, sondern grundlegend die diesbezügliche Debatte von der  hellenistisch-römischen Zeit bis ins 21. Jahrhundert.

Bedenken gegen die Brit Mila aus medizinischen Gründen läßt sich durch eine Durchführung der Zirkumzision nach dem jeweils aktuellsten chirurgischen Standard begegnen, unter Anwendung einer geeigneten Anästhesie. Hierbei ist nicht nur eine angemessene vorherige Aufklärung der Eltern über den Eingriff und seine möglichen Risiken einerseits sowie über die medizinischen Vorteile einer Beschneidung andererseits unerläßlich, sondern es muß auch eine korrekte Nachsorge erfolgen, um etwaigen Komplikationen entgegenzuwirken. Eine dem entsprechende, spezielle Ausbildung von Mohalim (vorzugsweise Ärzten) ist daher unverzichtbar.

Über allen Debatten für oder wider eine rituelle jüdische Beschneidung ist jedoch zu bedenken, daß es sich bei der Brit Mila nicht um eine Angelegenheit handelt, über die jüdische Eltern für ihre Söhne bzw. erwachsene jüdische Männer für sich selbst nach freiem Belieben entscheiden, sondern daß sie eines der wichtigsten Gebote des Judentums darstellt -  und damit eine Verpflichtung dem Ewigen gegenüber, als Zeichen des immerwährenden Bundes mit Seinem Volk. Damit ist die Brit Mila auch gegenüber der nicht-jüdischen Umgebung nicht verhandelbar, und Juden sind nicht verpflichtet, rationale Einwände oder gar Entschuldigungen zu suchen, um ihr Festhalten an der Halacha und damit an der Beschneidung als einem ihrer grundlegenden Bestandteile zu rechtfertigen.

Die Brit Mila ist wie kein anderes Symbol und wie keine andere Mitzwa innerhalb des Judentums ein Zeichen des religiösen Bewußtseins für den Ewigen, und gleichzeitig ein bewußtes Bekenntnis der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk.  Spinoza erklärte daher in seinem Tractatus Theologico-Politicus (3, 53), daß die Beschneidung allein ausreiche, um das Überleben des jüdischen Volkes zu sichern,  womit er partikularistisch darstellt, was der Talmud universalistisch ausdrückt: „[Wäre] nicht das Bündnisblut, würden Himmel und Erde nicht bestehen, wie es heißt: wenn nicht mein Bündnis Tag und Nacht [bestünde], so würde ich die Ordnungen von Himmel und Erde nicht gesetzt haben “ (bShab 137b).

Untrennbar sind Beschneidung und Judentum miteinander verbunden, von den Ursprüngen bis in die Gegenwart, und ebenso ist beider Geschichte miteinander verflochten. „In the commandment of circumcision it is possible to observe the history of Judaism in miniature“.  Wie die Brit Mila in der Vergangenheit eine wesentliche Grundlage der jüdischen Religion und damit des jüdischen Volkes bildete, so wird sie auch in der Zukunft unverzichtbar und unabänderlich ein prägendes Element für die Zugehörigkeit zum Judentum darstellen, in Einklang mit dem ethischen Gesetzeswerk der Halacha, und als Ausdruck des Annehmens des Bundes mit dem Ewigen durch Sein Volk.

Literaturangaben:
Bamberger S.: (Die Beschneidung) Die Beschneidung – Eine populäre Darstellung ihrer Bedeutung  und Vollziehung, Wandsbek: Verlag A. Goldschmidt-Hamburg 1913
Borowitz Eugene B.: (Concept of the Covenant) The Concept of the Covenant in Reform  Judaism. In: Barth Lewis M. (Hg.): Berit Mila in the Reform Context, o.O.: Berit  Mila Board of Reform Judaism 1990, 152-161
Schlich Thomas: (Der lebende und der tote Körper) Der lebende und der tote Körper. In: Gilman Sander L.,Jütte Robert und Kohlbauer-Fritz Gabriele (Hg.): „Der schejne  Jid“- Das Bild des „jüdischen Körpers“ in Mythos und Ritual, Wien: Picus Verlag  1998, 145-157
Signer Michael A.: (To See Ourselves as Others See Us) To See Ourselves as Others See Us:  Circumcision in Pagan Antiquity and the Christian Middle Ages. In: BarthLewis M.  (Hg.): Berit Mila in the Reform Context, o.O.: Berit Mila Board of Reform Judaism 1990,  113-127

Resümee aus Antje Yael Deusel, „Mein Bund, den ihr bewahren sollt – Religionsgesetzliche und medizinische Aspekte der Beschneidung“, Herder Verlag, Freiburg 2012
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